Natascha Kampusch hat ihre Geschichte aufgeschrieben. Mehr als acht Jahre war sie den Grausamkeiten ihres Entführers ausgesetzt.

Nachrichtenzentrale: Nadia Köhler (nl)
Stuttgart - Ihre erste Nacht in Freiheit verbrachte Natascha Kampusch in einem Hotel im Burgenland. Ein Stockwerk wurde für sie geräumt. Vor der Tür ihres Doppelzimmers standen Polizisten mit der Waffe im Anschlag. Neben ihrem Bett saß eine "unablässig redende Polizeipsychologin". 3096 Tage Gefangenschaft lagen da hinter der damals 18-Jährigen. Mehr als acht Jahre war sie den seelischen und körperlichen Grausamkeiten des Nachrichtentechnikers Wolfgang Priklopil ausgesetzt gewesen. Seit sie zehn Jahre alt war, hatte Natascha Kampusch bis dato ihre Nächte entweder in einem zwei Meter langen, 1,80 Meter breiten und knapp 2,40 Meter hohen Kellerverlies verbracht. Oder sie musste mit Kabelbindern an ihren Entführer gefesselt in dessen Bett schlafen.

Dennoch: diese erste Nacht da draußen entsprach so gar nicht dem, wie die junge Frau sich ihre Freiheit ausgemalt hatte. "Wieder war ich von der Außenwelt abgeschnitten. (...) Ich drehte in diesem Zimmer fast durch", schreibt die 22-Jährige in ihrer Biografie "Natascha Kampusch - 3096 Tage" , die am Mittwoch erscheint.

Die Existenz dieses Buches beweist das, wovor Traumatherapeuten mit Blick auf diesen Fall stets gewarnt haben: Natascha Kampuschs Start in die Freiheit im Spätsommer 2006 ist missglückt. Nur zwei Wochen nach ihrer Flucht saß das Mädchen, dem ein nahezu unvorstellbares Verbrechen angetan worden war, in einem Fernsehstudio und erzählte stark und redegewandt von seinem Leben im Keller. Kampusch selbst hatte sich so bald an die Öffentlichkeit wenden wollen. Sie wollte nicht länger als ohnmächtiges Opfer gelten.

Großes Interesse an Kampuschs Geschichte


Die Welt kannte nun Natascha Kampuschs Gesicht, aber das Interesse an der Geschichte war keineswegs befriedigt. Der Boulevard kam erst richtig in Fahrt. Von der "Sexbestie" war in Bezug auf Wolfgang Priklopil die Rede. Die Wahrheit schien nicht grausam genug, sie wurde, wie Kampusch schreibt, "über ein erträgliches Maß hinaus ausgeschmückt. Mir wurde die Deutungshoheit über das Erlebte entzogen".

Und genau die will sich die 22-Jährige nun zurückerobern. Sie habe dieses Buch nach dem Motto "Friss oder stirb verfasst", hat Natascha Kampusch am Montagabend in der ARD-Sendung "Beckmann" gesagt. Sie habe ihr Ballastpaket abgeben wollen, und jeder könne jetzt damit machen, was er oder sie wolle. "Ich muss mich nicht mehr rechtfertigen und ich muss nun nichts mehr dazu sagen."

Und tatsächlich tut der Medienwechsel Kampuschs Geschichte gut. In dem Buch steht zwar nichts wirklich Neues, doch die Geschichte erreicht noch einmal eine andere Intensität. Kampusch und ihre Koautorinnen Heike Gronemeier und Corinna Milborn erreichen dies nicht etwa durch die Schilderung voyeuristischer Details, sondern dadurch, dass der jungen Frau genügend Raum gegeben wird, um ihre Gedanken, die sie vor, während und nach der Gefangenschaft hatte, frei zu entfalten.