Ein Trick der Evolution bevorzugt Nilbarsche in afrikanischen Seen: sie fressen ihren Konkurrenten alles weg. Die Vielfalt der Buntbarsche hat erheblich darunter gelitten.

Stuttgart - Für Menschen mag es sinnvoll sein, jeden Bissen gut zu kauen. Aber für Tiere? Evolutionsbiologen, die sich mit den Buntbarschen der afrikanischen Seen beschäftigen, haben den Vorteil des Schnell-Essens erkannt. Matt McGee und Ole Seehausen vom Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag in Kastanienbaum im Kanton Luzern am Vierwaldstätter See, sowie ihre Kollegen in den USA und der Schweiz im Magazin „Science“ haben nämlich eine Erklärung dafür gefunden, weshalb seit den 1980er Jahren fast alle Fischfresser unter den Buntbarschen im Victoria-See in Afrika verschwunden sind: Sie waren zu langsam beim Fressen.

 

Die Tiere brauchten offenbar teilweise Stunden, um einen einzigen Fisch zu vertilgen. Als dann mit dem Nilbarsch ein neuer Konkurrent auftauchte, der einen ganzen Fisch in wenigen Minuten verschluckt, hatten viele der gemächlicheren Fresser aus der Buntbarsch-Familie schlechte Karten.

Nilbarsche mit raffinierter Kieferkonstruktion

Zum Verhängnis wurde den langsam fressenden Buntbarschen der evolutionär erfolgreichere Kiefer des Nilbarsches. Er verfügt über eine besonders raffinierte Konstruktion. Während Menschen, Säugetiere oder Vögel mit Unter- und Oberkiefer nur ein solches Knochenpaar haben, besitzen viele Fische tief im Rachen ein zweites Kieferpaar. Diese Schlundkiefer helfen, die Beute oder andere Nahrung zu zerkleinern und in den Verdauungstrakt zu ziehen, während das Mundkiefer-Paar genau wie bei Säugetieren die Nahrung packt. „Der Schlundkiefer besteht bei vielen Fischen aus zwei Knochenplatten oben und zwei weiteren unten, die unabhängig voneinander bewegt werden können“, erklärt Ole Seehausen.

Bei den Buntbarschen sieht die Situation dagegen ganz anders aus. Schon seit diese Fisch-Familie vor vielleicht sechzig bis hundert Millionen Jahren entstand, sind bei fast allen Arten die beiden oberen und die beiden unteren Knochenplatten des Schlundkiefers miteinander verwachsen. „Dadurch können die Muskeln viel mehr Kraft auf die größeren Platten bringen und sie auch wie Mahlsteine gegeneinander verschieben“, fasst Ole Seehausen den großen Vorteil zusammen. So können die Fische auch sehr harte Beute zermahlen, an der sich andere Arten die Zähne ausbeißen würden.

Diese Erfindung haben Buntbarsche genutzt, um sehr unterschiedliche Beute zu zerkleinern, wie die Artenvielfalt im Victoria-See zeigt. Dort entstanden aus einer einzigen Art in gerade einmal 15 000 Jahren ungefähr 500 Buntbarsch-Arten.

Buntbarsche kommen nicht hinterher

Im Maßstab der Evolutionsbiologie ist das ein extrem hohes Tempo, bei dem der Schlundkiefer der Tiere neben anderen Eigenschaften der Buntbarsche durchaus eine wichtige Rolle spielt. 1952 aber begann die Situation zu kippen, weil Menschen den Nilbarsch als neuen Speisefisch im Victoria-See aussetzten, um ihre Fänge aufzubessern. Seit den 1980er Jahren beobachten Forscher wie Ole Seehausen, dass die Buntbarsch-Vielfalt wieder verschwindet. Einen der Gründe dafür entdeckte Matt McGee, als er vor seinem Wechsel in die Schweiz an der Universität von Kalifornien in Davis untersuchte, wie schnell verschiedene Arten aus dem Victoria-See ihre Beute verarbeiten: Ein Nilbarsch schluckt einen gefangenen Fisch normalerweise innerhalb weniger Minuten. Die alteingesessenen schaffen das nicht. „So lange nach Beginn der Mahlzeit hängt ihnen oft noch der Schwanz der Beute aus dem Maul“, erklärt Ole Seehausen.

Solange die Fischfang-Spezialisten noch ohne den Konkurrenten Nilbarsch im Victoria-See schwammen, war dieses langsame Fressen kein Nachteil, weil ja alle Arten ihre Beute langsam zermahlen mussten. Die Konkurrenz hat die rund hundert Arten, die auf Fischfang spezialisiert sind, praktisch verschwinden lassen. Überlebt haben wenige Arten, die zwar Fische fressen, daneben aber noch einige andere Organismen vertilgen.