Der Passgang hat seine genetischen Wurzeln in Pferden, die aus England und Island stammen. Erst später kamen die Tiere mit dem ruhigen Gang auf das europäische Festland.

Stuttgart - Tiefe Löcher haben die Pferdehufe in den steinigen und matschigen Pfad gegraben, der über Stock und Stein führt. So dürfte das Reisen im mittelalterlichen Europa ausgesehen haben, bevor ab dem 15. Jahrhundert von Pferden gezogene Kutschen den Transport von Menschen und Lasten enorm verbesserten. Damals ritten die Reisenden auf „Zelter“ genannten Pferden. Diese Tiere beherrschten mit dem Passgang eine für den Reiter besonders bequeme Gangart. Wie sich diese Gangform entwickelt hat, das hat ein Team um Michael Hofreiter von der Universität Potsdam und Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin untersucht und die Ergebnisse jetzt im Fachblatt „Current Biology“ veröffentlicht.

 

Die Spur führt nach Island und England. Auch dort bildeten sich durch die Hufe einfache Trampelpfade, die oft genug in einem erbärmlichen Zustand waren. Nur an besonders gefährlichen oder schwierigen Stellen befestigten die Menschen die Wege mit Holz oder Steinen. Selbst für erfahrene Reiter waren schon wenige Stunden auf solchen Wegen eine Tortur. Zumindest auf normalen Pferden, die von Natur aus den Passgang nicht beherrschen, der bei anderen Tieren wie Kamelen, Elefanten oder Giraffen die übliche Form der Fortbewegung ist.

Normalerweise sind Pferde als „Viertakter“ unterwegs

Dabei bewegen die Tiere das rechte Vorder- und Hinterbein nahezu gleichzeitig nach vorne, während die beiden linken Beine Halt auf dem Untergrund geben. Anschließend gehen die linken Gliedmaßen nach vorne. Pferde dagegen sind im Schritt normalerweise als „Viertakter“ unterwegs und setzen nach dem rechten vorderen Fuß den linken hinteren, danach kommen der linke vordere und dann der rechte hintere Fuß. Ein Reiter auf dem Rücken wird bei diesem Schritt aber schon ein wenig durchgeschüttelt, und vor allem Hintern und Rücken werden bei längeren Touren malträtiert. Läuft das Tier dagegen im gemächlichen Passgang, schwanken die Menschen zwar im Takt der Hufe ein wenig zur Seite, sitzen aber viel bequemer als beim normalen Schrittgang der Pferde.

Irgendwann in der Geschichte der Pferde veränderte sich zufällig ein einziger Baustein in der Erbeigenschaft DMRT 3. „Dieses Gen ist offensichtlich in den Nervenzellen der Wirbelsäule aktiv und spielt eine Rolle bei der Koordination der Gliedmaßen“, erklärt Michael Hofreiter. Betroffene Pferde konnten plötzlich den Passgang, und ihre Reiter schaukelten bequem durch die Gegend. Vermutlich waren solche Tiere hochbegehrt und wurden weiter gezüchtet. Der zufällig entstandene Passgang könnte durchaus eine der wichtigen Neuerungen im Mittelalter gewesen sein.

In den Anden und auf Island gibt es noch viele Passgänger

Später verbesserten Kutsche, Eisenbahn, Auto und Flugzeug das Reisen, der Passgang wurde weniger wichtig. Vor allem im unwegsamen Gelände wie in den südamerikanischen Anden, auf Kreta oder Island waren Reisende aber noch bis in die jüngere Vergangenheit hoch zu Ross unterwegs. Dort sind Passgänger-Pferde noch heute sehr häufig, während andernorts die Vierbeiner oft nur noch im Sport- und Freizeitbereich unterwegs sind, für die andere Gangarten besser geeignet sind. Dort ist die DMRT-3-Veränderung daher deutlich seltener geworden.

Gleichzeitig aber verwischen sich so auch die Spuren zum Ursprung des Pferde-Passgangs. Wo diese wichtige Revolution des Reisens zum ersten Mal Fuß fasste und wo solche bequemen Pferde damals gezüchtet wurden, wusste bisher niemand. Um ihr auf die Spur zu kommen, isolierten die Forscher um Michael Hofreiter und Arne Ludwig Erbgut aus 92 Pferden, die vor 8000 bis etwa tausend Jahren in so verschiedenen Regionen wie Island, England, Skandinavien, der Iberischen Halbinsel, Mitteleuropa, Russland und China gestorben waren. „In dieser Zeit bestattete man Menschen oft mit ihren Pferden, die ja ein sehr wertvoller Besitz waren. Daher können wir viele Skelette untersuchen, in deren Knochen unter bestimmten Bedingungen noch größere Teile des Erbguts erhalten sind“, erklärt Hofreiter.

Passgang-Pferde als Kriegsbeute

Allzu häufig wurde IZW-Forscherin Saskia Wutke bei ihrer Suche nach der DMRT-3-Veränderung aber nicht fündig. Auf dem europäischen und asiatischen Festland entdeckte sie im alten Erbgut keinen einzigen Hinweis auf den Passgang. Dagegen fand sie diese Mutation im Erbgut der beiden untersuchten Pferde, die zwischen 850 und 900 nach Christus im Norden Englands lebten. Ferner wurde das Erbgut von 15 Pferden analysiert, die zwischen 850 und 1000 nach Christus in Island lebten – darunter waren zwölf Passgänger.

Das wirft ein überraschendes Schlaglicht auf die Geschichte des Passgangs: Die entscheidende Rolle spielten offenbar die Wikinger, die zwar als Seefahrer, kaum aber als Reitervolk in die Geschichte eingegangen sind. Hatten diese Wikinger damals in der Mitte des neunten Jahrhunderts doch gerade die Gegend um York im Norden Englands erobert und begannen gleichzeitig, Island zu besiedeln. Ihre Kriegsbeute bestand nicht nur aus unbelebten Wertgegenständen, sondern anscheinend auch aus Pferden und Frauen. Noch heute zeigt das Erbgut der Isländer jedenfalls, dass die meisten männlichen Vorfahren aus Skandinavien kamen, die weiblichen dagegen überwiegend von den Britischen Inseln.

Von Europa in nach Südamerika

Vermutlich entstand die Mutation für den Passgang bei Pferden daher in England, und die Wikinger nahmen die Vierbeiner als Transportvehikel mit nach Island. Dort gab es keine anderen Transportmittel, und der bequeme Passgang wurde weiter gezüchtet. Vielleicht geschah Ähnliches auch in England. Erst später kamen die Pferde mit dem ruhigen Gang dann von diesen Inseln auf das europäische Festland – und nach der Entdeckung Südamerikas auch in die Anden.

Die Gangarten der Pferde

Schritt
Bei der langsamsten Gangart bewegen sich die Beine im Vierertakt: Erst wird der rechte vordere Fuß auf den Boden gesetzt, gefolgt vom linken hinteren und dann vom linken vorderen Huf. Den Abschluss des Vierertakts bildet der rechte hintere Fuß.

Trab
Deutlich flotter ist der Trab, eine Art Zweitakter: Das linke vordere und das rechte hintere Bein bewegen sich parallel zueinander, ebenso das rechte vordere und das linke hintere Bein. Für einen kurzen Moment berührt dabei kein Huf den Boden, und das Pferd befindet sich in der Luft.

Galopp
Die schnellste Gangart ist der Galopp, ein Dreitakter. Er beginnt links hinten, gefolgt von der fast gleichzeitigen Bewegung von rechts hinten und links vorne, dann kommt rechts vorne. Danach berührt keiner der Hufe den Boden – deutlich länger als beim Trab. Alternativ kann ein Galopp mit dem rechten hinteren Bein beginnen.

Passgang
Hier bewegen sich die beiden Beine auf einer Seite des Tiers parallel zueinander, diese Gangart ist für den Reiter besonders bequem.

Tölt
Bei dieser Gangart, die relativ schnell werden kann, bewegen sich alle Beine einzeln nacheinander. Dabei bleibt aber immer mindestens ein Huf auf dem Boden, bei jedem zweiten Schritt sind es sogar zwei. Diese Gangart kennt man heute vor allem bei Islandpferden, im Mittelalter liefen wohl auch die sogenannten Zelter im Tölt und damit in einer für den Reiter schonenden Gangart.