„Lazarus-Effekt“ nennen Wissenschaftler das Schicksal einer Art, die erst verschwunden ist und dann wieder entdeckt wird. Immer wieder gibt es Tiere, die in entlegenen Gebieten dieser Welt entdeckt werden, obwohl man dachte, sie seien ausgestorben. Allerdings sind die meisten Arten gefährdet.

Stuttgart - Pausenlos fiept es aus dem Ei, in dem ein großer Riss klafft. Ein neugieriges Auge späht aus dem Riss, dann drückt das Küken mit winzigen Füßen auf der einen Seite gegen die Schale und schiebt mit dem Rücken auf der anderen Seite in die entgegen gesetzte Richtung. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung bricht der Winzling so die Eischale in zwei Teile. Dann liegt das schwarze Küken völlig erschöpft in seinem Nest auf der Südinsel Neuseelands. Takahe wird die Vogelart genannt, zu der das Küken gehört. Noch kann der Winzling nicht ahnen, dass er in seinem späteren Leben zum Vater einer ganzen Schar dieser extrem seltenen Rallenvögel werden wird. Und damit die Chancen für das Weiterleben seiner Art verbessert, die bereits einmal von den Toten wiederauferstanden ist.

 

„Lazarus-Effekt“ nennen Wissenschaftler das Schicksal einer Art, die erst verschwunden ist und dann wieder entdeckt wird. Genau wie in der Bibel Lazarus und natürlich Jesus an Ostern scheint die Art von den Toten wieder auferstanden zu sein. In der Natur aber teilen die Takahes dieses Schicksal mit einer ganzen Reihe anderer Arten. Wirklich ausgestorben aber waren sie nicht, sie waren eher abgetaucht. Zum Beispiel waren die Takahes am Ende des 18. Jahrhunderts bereits sehr selten. Damals lebten gerade die ersten Europäer in Neuseeland. Kaum einer von ihnen aber bekam jemals einen dieser Vögel mit ihrem auffallenden blauschillernden Gefieder zu Gesicht. Als die Vögel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gar nicht mehr auftauchten, hielten Zoologen sie für ausgestorben. Bis die Takahes 1948 wieder von den Toten aufstanden: In diesem Jahr hatte der Arzt und Hobby-Ornithologe Geoffrey Orbell eine kleine Gruppe der Tiere in den Murchison Mountains auf der Südinsel Neuseelands entdeckt. Dieses Gebiet scheint wie für das Untertauchen gemacht: In die unwegsamen Berge hoch über dem Te Anau-See verirrt sich kaum ein Mensch.

Der Lazarus-Effekt

Der Lazarus-Effekt tritt meist in abgelegenen Regionen auf. So lebten am Ende des 18. Jahrhunderts noch einige Millionen Antarktische Seebären im Südpolarmeer. In den 1790er Jahren begannen britische und amerikanische Jäger die Robben an ihren Ruheplätzen auf den wenigen Inseln im Südpolarmeer abzuschlachten. Allein im Südsommer vom November 1800 bis März 1801 erschlugen sie auf der Insel South Georgia 112 000 Seebären. Diese Robben sind an Land zwar überraschend schnell und können auch ziemlich aggressiv werden. Gegen die rabiaten Jäger aber hatten die Tiere keine Chance. So wurde 1819 eine neue Seebärenkolonie auf den South Shetland-Inseln vor der Antarktischen Halbinsel entdeckt. Gerade einmal zwei Jahre später waren diese 400 000 Tiere ausgelöscht. Mit ihrem Raubbau aber machten sich die Jäger schließlich am Ende selbst arbeitslos, denn bereits in den 1830er Jahren galt der Antarktische Seebär als ausgestorben.

Mit mehr als 20 Millionen Quadratkilometern aber ist das Südpolarmeer fast doppelt so groß wie Europa von Portugal bis zum Ural und vom Nordkap bis nach Sizilien. Dauerhaft leben Menschen auf praktisch keiner der Inseln dort, nur ein paar Forschungsstationen sind heute rund ums Jahr besetzt. Was ein paar Kilometer von solchen Stationen entfernt oder gar auf menschenleeren Inseln passiert, bekommt in dieser Weite niemand mit. Und so hatte eine kleine Gruppe Antarktischer Seebären auf der „Vogelinsel“ vor der Nordwestspitze von South Georgia das Massaker an ihren Artgenossen überlebt. Als diese Kolonie in den 1930er Jahren entdeckt wurde, waren die ein Jahrhundert vorher anscheinend Ausgestorbenen von den Toten wieder auferstanden. Da die Tiere bis heute nicht gejagt werden, gibt es heute auf South Georgia wieder bis zu vier Millionen dieser beeindruckenden Seebären.

Diese Erfolgsstory ist unter den Wiederauferstandenen eine große Ausnahme, andere Arten sind weit weniger erfolgreich und haben bei der Weltnaturschutzorganisation IUCN eher den Status „vom Aussterben bedroht“ oder „stark gefährdet“. Dazu gehört auch der Galapagos-Seebär, der mit seinem Namensvetter in der Antarktis recht eng verwandt ist. Genau wie dieser wurden auch die Robben auf der abgelegenen Inselgruppe tausend Kilometer vor der südamerikanischen Pazifikküste von Jägern massenweise erschlagen und galten schon im 19. Jahrhundert als ausgestorben. Seit sie 1932 von den Toten wieder auferstanden ist, wird die Art streng geschützt. Sie konnte sich aber trotzdem nach IUCN-Daten nur auf 10 000 bis 15 000 Tiere am Anfang des 21. Jahrhunderts erholen und gilt daher als „stark gefährdet“.

Quastenflosser leben gut versteckt

Noch dramatischer steht es um die Quastenflosser, die gleichzeitig den Weltrekord für die Zeit halten, in der sie für ausgestorben gehalten wurden. Verloren sich die Spuren dieser urtümlichen Fischgruppe doch schon mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Bis dann 1932 die Leiterin des städtischen Meeresmuseums im südafrikanischen East London Marjorie Courtenay-Latimer unter dem von einem Fischkutter angelandeten Fang einen dieser bis zu zwei Meter langen und hundert Kilogramm schweren Fische entdeckte.

Erst 1987 sah der deutsche Biologe Hans Fricke vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen das erste lebendige Exemplar dieser uralten Art und stöberte gleichzeitig ihr Versteck auf, in dem sie sich viele Jahrmillionen lang verborgen gehalten hatte: Quastenflosser schwimmen nur in den Nächten in Wassertiefen zwischen 150 und 700 Metern, tagsüber verstecken sie sich in Höhlen. Erst als der Forscher diese Fische gezielt mit einem eigens dafür konstruierten Tauchboot suchte, konnte er diesen Fisch-Lazarus tatsächlich nachweisen. Und kam damit vermutlich gerade noch rechtzeitig: Möglicherweise gibt heute in den Tiefen des Meeres es nur noch ein paar Hundert dieser urtümlichen Fische.

Wer also in der Tierwelt von den Toten wieder aufersteht, hat also noch lange keine Garantie auf ein ewiges Leben – ganz im Gegenteil.