Bla Bla Car ist das Aushängeschild für eine überraschend vitale französische Start-up-Kultur. Doch der Unternehmensgründer Frédéric Mazzella macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe für knallharte angelsächsische Rezepte.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - So viel globalen Eroberungsgeist ist man normalerweise nur von aggressiven US-Unternehmen gewöhnt. Doch das französische Internetmagazin Atlantico nennt den Mitfahranbieter Bla Bla Car „die große französische Erfolgsgeschichte der ,sharing economy’“ – also des Ansatzes, vorhandene private Ressourcen über das Internet effizient zu vermarkten. Eine Nutzerbasis von 20 Millionen Menschen, eine Präsenz in 15 europäischen Ländern sowie in Indien, Russland und der Türkei, ein Wachstum mit Raten von jährlich mehr als 200 Prozent, das sich jüngst im Aufkauf des deutschen Konkurrenten Carpooling niederschlug – Bla Bla Car hat alle Merkmale eines Welteroberers aus der IT-Wirtschaft, wie man sie sonst eher aus dem amerikanischen Silicon Valley kennt.

 

Wenn wenn man die französische Firma Bla Bla Car mit dem öffentlich viel bekannteren US-Taxi-Anbieter Uber vergleicht, dann sind die Ähnlichkeiten verblüffend. Beide rollen in rasanter Geschwindigkeit rund um den Globus Märkte auf, die eigentlich als saturiert oder als ökonomisch unergiebig galten. Sie tun dies mithilfe einer cleveren App und einer sehr nutzerfreundlichen Organisation – und sie haben vor allem einen Expansionsdrang, der traditionelle Anbieter blass aussehen lässt. Im Gegensatz zu dem lange provokativ auftretenden Uber versucht Bla Bla Car aber unter dem Radarschirm zu bleiben. Lieber unterschätzt werden als überschätzt, das ist die eher der europäischen Tradition verhaftete Kommunikationsstrategie.

Seit seiner Gründung im Jahr 2006 hat Bla Bla Car lokale und regionale Anbieter von Mitfahrgelegenheiten in Frankreich weitgehend geschluckt. Hier ist der Dienst auch, wie schon in Spanien, gebührenpflichtig. Anderswo setzt das Unternehmen vor allem auf eine schnelle Expansion seiner Nutzerbasis, um rasch eine große Auswahl an Fahrten anbieten zu können.

Ein amerikanisierter Franzose

Das alles erscheint sehr amerikanisch. Und dazu bekennt sich der Gründer Frédéric Mazzella unumwunden. Als ihn vor kurzem das Nachrichtenmagazin „L’ Express“ interviewte, brauchte es einen ganzen Fußnotenapparat, um die von Mazzella propagierten und in den Büros von Bla Bla Car überall präsenten zehn Gebote der Firma für die Leser aus dem Englischen zu übersetzen. „Fail, learn – success“ („Scheitern, Lernen – Erfolg“) oder „Done is better than perfect“ („Besser etwas erledigen als perfektionieren“) lauten zwei davon. „Man nimmt sich vor die Welt zu erobern – und man legt los“, sagte Mazzella, ganz im selbstbewussten Tonfall eines Silicon-Valley-Entrepreneurs. Oder er provozierte mit einer Spitze gegen den französischen Kündigungsschutz: „Unser Laden ist jung. Die Leute machen bei uns die Arbeit, die sie selber haben wollten. Wer bei uns nicht glücklich wird, soll sich etwas anderes suchen.“

In Frankreich beginnt man sich dennoch allmählich für solche angelsächsischen Konzepte zu erwärmen. Der sozialistische Präsident Francois Hollande braucht wirtschaftliche Erfolge. Und Bla Bla Car ist das Aushängeschild dafür, dass innovative Ideen auch von Frankreich ausgehen können. Das Land gilt in Europa inzwischen als ein führender Standort für Start-up-Unternehmen. Laut der US-Beratungsgesellschaft Deloitte, die jedes Jahr die 500 weltweit am schnellsten wachsenden, neu gegründeten Technologieunternehmen ermittelt, hat Frankreich seit 2010 den Spitzenplatz in der Region Europa, Naher Osten und Afrika.

Frankreich ist bei Start-ups erfolgreich

Im vergangenen Jahr schafften es 84 Start-Ups aus Frankreich auf die Liste – aus Deutschland waren es nur 29. In einem kürzlich veröffentlichten deutsch-französischen Regierungsbericht zur Start-up-Kultur heimste Frankreich ebenfalls ein ungewohntes Lob ein. „Frankreich kann auf eine starke Innovationskultur, exzellente Forschungslabors, ein Netzwerk aus Gründerunternehmen und dynamische Großstädte zählen,“ hieß es dort. Nicolas Brusson, einer der Co-Gründer von Bla Bla Car sieht den Start von einem traditionell stark regulierten Land aus halb scherzhaft sogar als Vorteil: „Wer es in Frankreich schafft, für den sind die Hürden im Rest der Welt dann nur noch ein Klacks.“

Doch allzu viel französischen Patriotismus will Bla Bla Car nicht pflegen. „Unsere Herausforderung ist es, eine wirklich europäische Firma zu werden“, sagt Brusson. Europa und nicht Frankreich sei das Sprungbrett für den globalen Markt. „Solche Ambitionen hat es bisher in Europa nicht gegeben“, sagt er. Doch die Tatsache, dass Bla Bla Car auch von US-Investoren im vergangenen Jahr gut 100 Millionen Euro einsammeln konnte, sei ein Indiz dafür, dass man inzwischen glaubhaft machen könne, dass man auch von einem Heimatmarkt Europa aus die Welt erobern könne, ohne unbedingt in den Vereinigten Staaten präsent zu sein: „Vor fünf oder zehn Jahren war das noch nicht möglich.“