Beim Konzert von Blink-182 in der Stuttgarter Schleyerhalle präsentieren sich die Pop-Punk-Helden ein wenig gereift und musikalisch offen. Ja, man ist ein wenig älter und von Crowdsurfing solle das Publikum bitte absehen. Ob sich die Fans daran gehalten haben?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Die Warnung hängt in fett gedruckten Lettern im Foyer der Schleyerhalle: „Blink-182 bitten auf Grund der bestehenden Verletzungsgefahr von MOSHING, CROWD SURFING und ähnlichen Aktivitäten abzusehen“. Nun sind diese und andere „Aktivitäten“ aber der Kern dessen, was Besucher eines Punkkonzerts üblicherweise treiben.Eine Spießer-Ansage? Ja, schon. Die meisten, wenn auch nicht alle halten sich daran. Aber man ist ja nicht mehr im Jahr 1999.

 

Damals lief „What’s my age again“ auf so mancher Teenieparty, Pop-Punk hatte seine besten Tage – neben Blink-182 waren etwa The Offspring oder Green Day als Experten für laute, schnelle, gut gelaunte Mitgröl-Lieder unterwegs, im deutschsprachigen Raum unter anderem Die Ärzte oder Sportfreunde Stiller.

Die Neunziger in der Retroschleife

All diese Bands gibt es immer noch, was auf eine gewisse Haltbarkeit der Songs hindeutet. Zwar sind die popkulturellen Erzeugnisse der späten Neunziger längst in der Retro-Verwertungsschleife angekommen, etwa „American Pie“. Doch ein Blick ins Publikum von Blink-182 am Montagabend zeigt: Nicht nur die Teenies von damals sind gekommen, sondern auch die von heute. Mit 6500 Besuchern ist der Innenraum der Schleyerhalle ausverkauft.

All das macht Hoffnung, dass dieses Konzert keine reine Hit-Revue wird. Zumal Blink-182 nach ihrer Trennung 2005 und der Wiedervereinigung 2009 ja ein neues Album und eine EP präsentierten; ein weiteres ist gerade in der Mache. Das aber ganz ohne das Label Interscope, von dem sich Blink-182 Ende 2012 losgesagt haben. Ein neues Label ist bisher nicht präsentiert worden.

Der Schlagzeuger drischt um sein Leben

Somit steht in der Schleyerhalle eine Indie-Gruppe mit mehr als zwanzigjähriger Bandgeschichte auf der Bühne. Und auch wenn diese Erkenntnis so wenig Punk ist wie die Warnung vor Verletzungen beim Crowdsurfen: Blink-182 machen nicht (mehr) nur Funpunk, sondern erweitern ihr Spektrum stellenweise in Richtung Indie, Shuffle Rock und Metal.

Musikalisch sticht dabei Schlagzeuger Travis Barker heraus, der das Schlagzeug drischt, als ginge es um sein Leben. Die Gitarre von Tom DeLonge ist dafür umso leiser gemischt – zum Glück, denn DeLonge selbst merkt mehrfach an, dass er sich verspielt habe. Nach anfänglichen kleineren Schwierigkeiten läuft dafür die Abstimmung mit dem Co-Sänger und Bassisten Mark Hoppus wie geschmiert. Erstaunlich, wie zwei Männer um die vierzig sich einen derart nölig-nasalen, eben teenagerhaften Gesangsstil erhalten haben. Der ist neben den extrem dicken (und stellenweise schlecht gestimmten) Gitarren DeLonges das Markenzeichen des Blink-182-Sounds.

Ein brennendes „Fuck“ und viel Konfetti

Klar, die Schleyerhalle wird nicht zur riesigen Moshpit. Crowdsurfing gibt es trotzdem, auch der Pogo wird stellenweise getanzt. Immer wieder gehen die Hände hoch, die Smartphones auch und beim Song „Miss you“ sogar ein einsames Feuerzeug – auch das gibt es noch, muss wohl ein Fan der ersten Stunde sein.

Blink-182 wirken erholt nach einem Tag Tourneepause. Bei den Songs „Holly“ und „Ghost on the Dancefloor“ gibt es sogar ganz sparsam Einspielungen vom Band, ansonsten spielt das US-Trio alles selbst. Das hebt Blink-182 von ihren mit Gastmusikern tourenden Genrenachbarn Green Day ab; es macht die Musik etwas kantiger, ist dafür aber auch mehr Punk.

Besagter Punk geht erwartungsgemäß zu den Hits der Band am meisten ab. Die dreckigen Details beschränken sich auf ein riesiges brennendes „Fuck“ als Teil der Bühnendeko während der Zugaben und auf Tom DeLonges Schilderung einer Erektion. Ja, das ist albern, aber die Band hält ihre Ansagen selbst möglichst kurz, die Songs werden in schneller Abfolge gespielt – nicht euphorisch, aber mit routinierter Energie und der nötigen Konzentration. Auch hier gilt: wir sind nicht mehr im Jahr 1999, aus rotzigen Punkern können auch Bühnenprofis werden. Der Rest ist Konfettikanone.