Stephan Thern, der Chef des Blitz-Informationsdienstes von Siemens, hat von Karlsruhe aus Tiefdruckgebiete in ganz Europa im Blick. Er warnt Flugplätze, Energieversorger oder Windparkbetreiber, wenn Gewitter im Anmarsch sind.

Karlsruhe - Es ist ein Tag, der Stephan Thern glücklich macht: ein gigantisches Unwetter zieht über Holland hinweg, eine lokale Gewitterzelle lässt es über Mittenwald im Allgäu gehörig krachen. Und über dem Eiselmeer leuchtet und zuckt es bald im Sekundentakt. „Da hat sich einiges zusammengebraut“, sagt Thern aufgekratzt, „heute gibt es viel zu sehen.“ Der Herr der Blitze steht vor einer digitalen Europakarte, die gespickt ist mit roten, blauen, gelben Symbolen. „Jeder Kreis ist ein Blitz“, erklärt der 59-jährige Elektroingenieur und beobachtet mit Freude die Tiefdruckgebiete des Sommers.

 

In seinem Büro in Karlsruhe hat Stephan Thern den Überblick, er ist Chef des Blitz-Informationsdienstes von Siemens. Er weiß, dass das Risiko vom Blitz getroffen zu werden am Rande der Alpen siebenmal höher ist als in Schleswig-Holstein. Und er erzählt, dass im vergangenen Jahr nirgendwo mehr Blitze eingeschlagen sind als in Wesel, einem Landkreis in Nordrhein-Westfalen, wo 4,1 Blitze pro Quadratkilometer gemessen wurden, insgesamt 4297. Therns Daten basieren auf einem Netz an Messstationen, die die elektromagnetischen Felder einer Blitzentladung auf 200 Meter genau erfassen können. Über ganz Europa verteilt sind rund 160 Antennen. Eine davon steht zu Demonstrationszwecken neben dem Schreibtisch von Thern. Es ist ein weißer Kasten, aus dem ein Stab herausragt.

„Oben sind zwei Spulen drin, unten gibt es einen kleinen Computer und ein Modem“, erklärt Thern die Technik. Über Mobilfunk werden die Daten verschickt und im Zentralrechner ausgewertet. So können sich aufziehende Gewitter präzise ankündigen lassen. Rund 10 000 Kunden haben das Warnsystem kostenpflichtig abonniert. Sie erhalten per SMS einen Hinweis aufs Telefon oder werden angerufen, wenn das Unwetter naht.

160 Messantennen sind über Europa verteilt

„Die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, ist etwa so hoch wie ein Lottogewinn“, sagt Thern, also recht unwahrscheinlich, aber dennoch müsse man das Wetter im Blick haben. Vor allem Freizeitsportler seien gefährdet, Kletterer im Gebirge oder Fußballer auf Rasenplätzen mit Flutlichtmasten. „Es fehlt mittlerweile die Vorsicht, da lässt die Erziehung nach“, warnt Stephan Thern und hat sich gegenüber dem Schiedsrichter durchgesetzt, als sein Sohn nachmittags kickte und ein Gewitter im Anmarsch war. Das Spiel der Jugendlichen wurde abgebrochen. Immer wieder kommt es in Deutschland zu tragischen Unglücken, zuletzt ist ein 15-Jähriger während eines Zeltlagers in Rickenbach im Landkreis Waldshut von einem Baum erschlagen worden. Die Polizei geht davon aus, dass ein Blitz den riesigen Baum getroffen hat.

Versicherungen zählen zu den Kunden des Blitz-Informationsdienstes

Die Kundschaft des Warnsystems könnte unterschiedlicher kaum sein. Sie reicht vom Golfplatzbesitzer, der seine Sportler rechtzeitig vom Rasen holen will bis zum Betreiber von Ölplattformen in der Nordsee, der sich Sorgen macht, um die Sicherheit seines Personals. Energieversorger oder Telefondienstleister wollen wissen, ob es ihre Leitungen erwischt hat und Tagebauanlagen stellen bei drohenden Unwettern die Sprengungen ein. Auch Versicherer und Gutachter interessieren sich für Therns Auswertungen. Ob ein Schaden durch einen Blitz verursacht wurde und dementsprechend beglichen werden muss, kann er mit großer Verlässlichkeit sagen.

Es braucht nur wenige Klicks und der Ingenieur hat die erwünschte Schnellauskunft parat. Er tippt auf Google-Maps ein bestimmtes Datum und eine Adresse ein, und schon sieht er die Liste der registrierten Blitze rund um den angefragten Ort. Auf einer Übersichtskarte stehen die roten Zacken für Einschläge im Boden. Ist das Symbol in eine Wolke gehüllt, entlud sich der Blitz auf Wolkenniveau.

Die zerstörerische Kraft des Naturphänomens blendet Thern meist aus. „So ein Blitz ist Mathematik“, sagt der Ingenieur und fängt an zu messen und zu rechnen, wenn es am Himmel zuckt. In nur wenigen Mikrosekunden wird die elektrische Energie freigesetzt, sie zeichnet skurrile Muster, die sich mit einer Hochgeschwindigkeitskamera präzise festhalten lassen. „Da habe ich ein Schmankerl“, sagt Thern und zeigt in Zeitlupe, was mit dem bloßen Auge nicht zu sehen ist. Im Film wird der Blitz zum Gesamtkunstwerk, da wachsen Lichtäste aus düsteren Wolken heraus, gabeln sich die Strahlen und schieben sich zackig zur Erde.

Das holländische Gewitter, das Thern seit dem frühen Morgen auf der Karte beobachtet, zieht Richtung Deutschland weiter. Noch 70 Kilometer, dann schiebt es sich über die Grenze. „Das waren 11 000 Blitze in eineinhalb Stunden“, sagt er zufrieden und erklärt, dass eine einzige große Gewitterfront bis zu einem Zehntel der jährlichen Blitzbilanz ausmachen kann. Angst vor Gewittern hat der Wetterexperte Thern nicht, aber gehörigen Respekt. „Blitze sind schön“, sagt er, „solange ich ihnen nicht zu nahe komme.“