Der Mundartautor Hanno Kluge ist ausgezeichnet worden: Sein Einsatz für den Dialekt an den Schulen gilt als herausragend. Er plädiert für die Zweisprachigkeit.

Böblingen – - Für seine Werke hat Hanno Kluge schon einige Auszeichnungen erhalten, allein zwei Mal den Sebastian-Blau-Preis. Die Ehrennadel des Arbeitskreises Heimatpflege erhielt er nun für seinen ehrenamtlichen Einsatz – als Mitbegründer des Vereins Schwäbische Mund.art, als Brückenbauer zu den alemanischen Kollegen von der Muettersproch-Gesellschaft und hauptsächlich als Antreiber des Projekts „Mundart in der Schule“. Um die Zukunft des Schwäbischen macht sich der 68-Jährige keine Sorgen: Der Dialekt liegt seiner Meinung nach im Trend.
Herr Kluge, was bedeutet Ihnen Heimat?
Viel. „Heimat ist da, wo man dich versteht“, heißt ein Buch von mir. Ich definiere Heimat über die Sprache, aber auch über das Gefühl, die Zuneigung. Heimat ist nicht unbedingt nur da, wo ich herkomme, sondern auch dort, wo ich mich wohlfühle. Man kann eine neue Heimat finden.
Ist der Böblinger Stadtteil Dagersheim Ihre Heimat?
Ich bin gebürtiger Sindelfinger, aufgewachsen in Böblingen und bin, als ich geheiratet habe, nach Dagersheim gezogen. Ich wohne allerdings auch noch im Südschwarzwald. Als meine Frau vor drei Jahren starb, habe ich mir überlegt, ganz dorthin zu ziehen. Es war aber dann nicht notwendig und nicht möglich. Weil Dagersheim eben ein Stück Heimat geworden ist. Manchmal komme ich mir jedoch vor, wie wenn ich in einem früheren Leben ein Schwarzwälder gewesen wäre.
Obwohl man dort kein Schwäbisch spricht.
Mit Alemannisch komme ich sehr gut zurecht. Ich pflege ja den Kontakt zu alemannischen Mundartdichtern und hatte dort schon Auftritte. Das Publikum hat zwar gelacht, als es hörte, dass ein Schwabe auf die Bühne kommt. Das liegt daran, dass viele den Dialekt nur als Transportmittel benützen. Sie wollen damit Effekte erzielen, Gelächter eben. Im Mundart-Theater ist das zum Beispiel oft der Fall – mit einer Anhäufung von Schimpfwörtern. Aber ich mag es nicht, wenn die lustigen Dinge unter die Gürtellinie gehen.
Was wollen Sie mit dem Dialekt erreichen?
Nichts. Ich will damit leben. Wenn man vor Publikum Lyrik bringt, die auch schwere Inhalte hat, dann merken die Leute: Das sind seine Gedanken, der steckt da ehrlich dahinter. Dann wird man angenommen – auch von Alemannen. Natürlich macht man Witze und Neckereien untereinander. Aber man versteht sich.
Und die Jugendlichen, verstehen die Sie auch, wenn Sie mit Ihrem Projekt „Mundart in der Schule“ kommen?
Die Jugendlichen reden an der Schule zwar eher in der Standardsprache, aber im Freundeskreis, in der Familie switchen sie auf Schwäbisch um, wie man auf Neudeutsch sagt. Ich bin für Zweisprachigkeit. Mundart gehört nicht ans Gericht oder in die Bank. Ich kenne einen Lehrer, der redet im Deutschunterricht auf Hochdeutsch und im Sport Dialekt. Das finde ich gut.
Wird Schwäbisch wieder gern gehört?
Die Zeiten, als die Schwaben sich nicht getraut haben, den Mund aufzumachen, wenn Sie etwa in Berlin waren, sind zum Glück vorbei. Wir können umschalten. Und wenn man das schwäbische Idiom heraushört, macht uns das nichts mehr aus.
Woher kommt das neue Selbstbewusstsein?
Ich denke, das liegt an Thaddäus Trolls Buch „Deutschland deine Schwaben“. Das hat einen dermaßenen Erfolg gehabt. Vorher galten wir als dumme Suppenschwaben, als behäbig. Der zweite Grund ist natürlich dieser Werbeslogan „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Der ist bei den Schwaben zwar nicht so gut angekommen, hat dafür in der ganzen Bundesrepublik eingeschlagen. Zum Dritten taucht Schwäbisch verstärkt in der Werbung auf. Wie bei Schwabenbräu. „Foll subbr“ oder „sabbrlodd“ steht auf den Plakaten. Schwäbisch liegt offenbar im Trend.
Ist dieser Trend in der Mundart-Szene zu spüren?
In unserem Verein hatten wir einen enormen Zuwachs, wir sind jetzt mehr als 200 Mitglieder, davon ist die Hälfte künstlerisch aktiv. Im Ländle gibt es momentan zehn Stammtische für Mundart-Auftritte. Und es sind viele Junge dabei. Klasse finde ich zum Beispiel die Gruppe Subber Sach, die haben zunächst auf Englisch gesungen und sind auf Schwäbisch umgestiegen.
Und was gibt es von Ihnen auf Schwäbisch zu hören?
Ich mag besonders die leisen Sachen. Ein kurzes Beispiel? Hier, es heißt Ehrenwort: „Ii saag neggs weidr, saidr. Und weidr saidr neggs. Däam koosch draua.“
Das klingt, als wäre Ihnen das Dichten auf Schwäbisch in die Wiege gelegt worden. . .
Schwäbisch schwätzen kann jeder, aber schreiben nicht unbedingt. Als ich 1980 damit angefangen habe, dachte ich, das kann ich. Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass ich es doch nicht so gut kann. Man muss zu seinen Wurzeln zurückkehren. Wenn die geschriebene Mundart hochwertig sein soll, unterliegt sie außerdem bestimmten Kriterien. Etwa die Lokalisierbarkeit des Dialekts. In Böblingen sagt man zum Beispiel Wend und in Dagersheim Weed für Wind. Das Klischee, dass im Schwäbischen an alles ein -le angehängt wird, stimmt jedenfalls nicht. Schätzle sagt man höchsten zu einem kleinen Mädle.
Wie würden Sie Ihren Stil charakterisieren?
Ich versuche mich im literarischen Schwäbisch. Wenn man einen Satz genau so in der Standardsprache aufschreiben kann, lohnt es sich auf Schwäbisch nicht. Aber wenn Redewendungen und Wörter drin sind, die es in der Standardsprache nicht gibt, dann lohnt es sich. „Ich bin gekommen“ und „i ben komma“ sind das Gleiche, aber „i ben hälenga komma“ kann man nicht einfach übersetzen. Oder „I hann dabfr gmachd“. Das bedeutet nicht tapfer, sondern eher schnell. Gang firre, mach noore oder laof aane sind auch solche Redewendungen.
Jetzt bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Als Schwäbin verstehe ich die Begriffe zwar, aber ich benutze sie nie. Schlimm?
Nein. Sprache verändert sich immer. Wir sprechen auch nicht mehr wie die alten Ritter. Ich habe keine Angst davor, dass der Dialekt ausstirbt.