Für eine Ausstellung im Kunstverein ist Ava Smitmans durch die Stadt gestreift und hat zahlreiche Motive entdeckt. Ihre Bilder zeigen nicht das Postkarten-Idyll. Die Künstlerin fasziniert vielmehr die Ambivalenz zwischen Schönheit und Hässlichkeit

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Im Parkhaus zückt Ava Smitmans die Kamera. Durch die Außenverkleidung zeichnet das Sonnenlicht ein grafisches Streifenmuster auf den Betonboden. Das Parkdeck ist leer, Tauben haben sich eingenistet. „Mich reizt die Tristesse“, sagt die Künstlerin. Der Fotoapparat ist ihr Skizzenblock, von Böblingen hat sie Hunderte Bilder gemacht. Für eine Ausstellung im Kunstverein, die am Sonntag, 15. Februar, eröffnet wird, zeichnete sie ihre Ansichten der Stadt. Das verlassene Parkhaus und das Möbelhaus zählen dazu. Die grünen Streifen in der grauen Außenverkleidung haben ihre Aufmerksamkeit geweckt, ein kaputtes Hinweisschild, das gleichzeitig „frei“ und „besetzt“ anzeigte, überhaupt das Monströse dieser beiden Bauwerke. „Böblingen hat viel von den Motiven, die mich reizen“, sagt die 45-Jährige, „das ist das Spannende an der Stadt.“

 

Ava Smitmans überzeugte auch den Kunstverein von ihren Ansichten, im Herbst zog sie in die Künstlerwohnung im Alten Amtsgericht. Dort sind an der Staffelei aus den Fotografien Zeichnungen geworden. Weil die Künstlerin ein Diplom in Illustration hat, wirken sie ein wenig wie Karikaturen und gar nicht mehr so trist wie in der Wirklichkeit. Mit Bleistift, Buntstiften und Ölkreide sowie Acrylfarben bringt sie ihre Motive zu Papier, auf Holz oder auf die Leinwand. Sie kombiniert den dreckig wirkenden, wilden Bleistiftstrich mit dem sanften Pinselstrich, das viele Grau mit wenig, aber dafür leuchtender Farbe, das Realistische mit dem Abstrakten. Obwohl die Bilder stets menschenleer sind, ist darauf trotzdem viel Bewegung. Knapp 30 Bilder sind auf diese Weise entstanden, von Sonntag an sind sie in der zehnten Kabinett-Ausstellung des Kunstvereins unter dem signalhaften Titel „Böblingen“ zu sehen.

Ein skurriler Hinterhof eines Hotels

Dazu zählt ein Blick auf die Mercaden von einer Seitenstraße aus. Auf dem dunklen Bild leuchtet nur ein Werbespruch: „Endlich da!“ Im City-Center nebenan ist Ava Smitmans auf Leerstand gestoßen und war wieder begeistert von den vielen Formen und Linien und Spiegelungen und Schattierungen in den ausgedienten Geschäften. In einem öden Flur entdeckte sie einen gelben Hubschrauber, in den kleine Kinder hineinsitzen können, und an der Decke eine einzige Weihnachtsgirlande. Auf dem Schlossberg landete sie in dem mit Stacheldraht gesicherten, skurrilen Hinterhof eines Hotels: Auf eine Hauswand ist ein Seeufer mit Birkenwald gemalt. Im Herdweg stieß sie auf ein gelb gestrichenes Haus mit gelbem Lotto-Schild, auf dem Flugfeld fiel ihr der Gegensatz zwischen alt und neu, einer Baustelle und dem verrammelten Empfangsgebäude auf.

Raum für Gedanken und Gefühle

„Ich will Augen öffnen, ohne zu werten“, erklärt Ava Smitmans ihre Werke. Sie sollen Raum für Gedanken und Gefühle geben. Indem sie die Ambivalenz zwischen Schönheit und Hässlichkeit vorführt, werden die Bilder von der vergänglichen Stadt zum Spiegel der Gesellschaft. In Hamburg, wo die 45-Jährige Illustration studierte, beschäftigte sie bereits die Urbanität. „Es ist extrem, was in der Stadt alles aufeinander prallt“, sagt sie – etwa im Gegensatz zu Tübingen, wo sie heute wohnt. In einer derartigen Idylle hätte sie ihren Stil nicht entwickeln können. Böblingen fand die Künstlerin auf eine andere Weise extrem: Zwischen den Einkaufszentren und ihrer Entwicklung finden sich mehr Abgründe als an anderen Orten. Nur eine Zeichnung in ihrem Atelier fällt völlig aus dem Rahmen: Ava Smitmans hat auch das Fleischermuseum mit der Kirche abgebildet – mit feinen Bleistiftstrichen. Weil es in Böblingen eben nur diese winzige Ecke Altstadt gebe. Sie bleibt allerdings auch angesichts der Fachwerkromantik ihrem Thema treu und lässt ein Auto durch das Bild fahren, „sonst wäre es ein Postkartenmotiv“.