Aus dem Eingang nebenan stolpert eine Familie mit zwei kleinen Kindern und einer großen Reisetasche. Das Mädchen schläft auf Papas Arm weiter, der Bub bleibt mit offenem Mund vor einem Trupp Feuerwehrmänner stehen. Sie winken. Er fängt an zu weinen. Vor einem bärtigen Feuerwehrmann in Helm und Uniform plustert sich eine ältere Dame auf. Gehstock, rote Jacke, graues Haar. Sie verstehe einfach nicht, warum man ihr verbietet, im Keller zu übernachten. „Im Krieg ging das doch auch.“

 

Läden und Geschäfte in der Gefahrenzone bleiben geschlossen, Straßen werden gesperrt. Den ganzen Dienstag über verwandelt sich das Verkehrsnetz in ein Staunetz. Am Nachmittag werden drei weitere U-Bahnhöfe geschlossen. Gegen Mittag beschließt die Einsatzleitung, dass der Zünder der Bombe abends mit einem ferngesteuerten Gerät gezogen werden soll. Misslingt dieser Versuch, muss laut Experten sofort kontrolliert gesprengt werden.

Rund um die Baugrube werden Autos abgeschleppt. Helfer schichten einen Wall aus 10 000 Sandsäcken auf. Er soll Splitter abfangen und die Druckwelle in den Boden ableiten. Stroh wird als Dämmstoff herangeschafft. Alle Münchner im Umkreis von einem Kilometer rund um den Fundort, die noch in ihren Wohnungen sind, müssen dort bleiben und sich von Fenstern fernhalten. Das Entschärfen der Bombe misslingt. Schließlich wird sie vor Ort gesprengt. Ein in Deutschland extrem seltener Vorgang. 17 Gebäude werden schwer beschädigt, bei einem ist unklar, ob es einstürzen wird. Der Schaden geht in die Millionen.

Christian Ude besichtigt am Mittwochmorgen die Verwüstungen, die die Explosion verursacht hat. Der Oberbürgermeister zeigt sich erschüttert über das Ausmaß der Zerstörung trotz aller Vorsichtsmaßnahmen. Splitter und Scherben übersäen den Asphalt. Aus den Angeln gesprengte Haustüren und Fenster baumeln im Wind, Brandgeruch liegt in der Luft. Einige der Häuser sind vorerst nicht bewohnbar, ein Bekleidungsgeschäft ist in der Nacht komplett ausgebrannt. „Es sieht aus wie nach einer Straßenschlacht“, sagt der SPD-Politiker. Statiker kontrollieren nun die Häuser, um ihre Stabilität zu klären.

Was bleibt, ist ein Krater mitten in der Stadt. Ein riesiges Loch in der geordneten Welt, das Fragen aufwirft. Die Frage, ob leicht brennbares Stroh geeignetes Dämmmaterial für eine Bombe ist. Es ist ein gängiges Verfahren, wie Experten betonen, aber in dieser Stadtlage? Die Frage, wer für die Schäden aufkommt. Der Oberbürgermeister nennt es eine „schwierige Rechtsfrage, die wahrscheinlich noch gutachterlich zu klären sein wird“. Zugleich betont er: „Selbstverständlich bekommen die Betroffenen Schadensersatz.“ Zwei Versicherungen beteuern, dass sie zahlen wollen. Andere zögern noch. Dann die Frage, wann die letzten 100 Schwabinger in ihre Wohnungen zurückkönnen. Veronika Holler darf am Morgen kurz in ihre Straße, doch die Wohnung bleibt tabu. Es wird noch dauern, bis die Ordnung wieder hergestellt ist.