Haben Sie sich denn einmal mit der alternativen Idee Kopfbahnhof 21 befasst?


Zetsche: Ich sage offen, dass mir nicht einleuchtet, worin die Vorteile aufgeständerter Strecken im Neckartal liegen sollen oder warum eine Schotterwüste in der Innenstadt schöner sein soll als erweiterte Parks. Aber selbst wenn der Alternativvorschlag theoretisch - was ich bestreite - ein wenig besser wäre als die beschlossene Lösung, macht ein Umschwenken zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn. Denn die Planung begänne von vorn, zehn, fünfzehn weitere Jahre gingen allein durch Diskussionen verloren. Deshalb stehen wir vor der Frage, Stuttgart 21 zu bauen - oder auf lange Zeit alles so zu belassen, wie es ist.

Hambrecht: Festhalten lässt sich, dass wir schnellere Genehmigungsprozesse brauchen. Wenn ein Vorhaben vor 25 Jahren begonnen wurde, kann die heutige Generation nicht wissen, was damals besprochen wurde. Das ist ein Manko.

Ein Manko mit Folgen, denn trotz aller Beschlüsse für Stuttgart21 gibt es eine große Zahl von Menschen, die mit dem Projekt große Probleme haben. Ist die momentan laufende Sachschlichtung eine gute Idee?


Hambrecht: Ich denke, dass die Schlichtung in der vor einigen Wochen noch sehr aufgeheizten Situation ein guter Ansatz war, die beiden Lager miteinander ins Gespräch zu bringen. Wer allerdings glaubt, dass sich in der Schlichtung entscheidet, ob gebaut werden kann oder nicht, der ist auf der falschen Spur. Ich sage: Unabhängig davon, wer später möglicherweise einmal das Land regiert - das Projekt wird kommen.

Bei der Schlichtung geht es sehr ins Detail - so als kontrolliere ein Autofahrer vor dem Start jedes einzelne Käbelchen seines Motors. An manchen Stellen, etwa im Blick auf die Leistungsfähigkeit des neuen Tiefbahnhofs, nähren die Gegner erhebliche Zweifel. Haben Sie gar keine Bedenken?


Zetsche: Wenn wir ein Auto heute definieren und es kommt erst wesentlich später auf den Markt als geplant, wird es sich lohnen, neue Erkenntnisse einfließen zu lassen und im Detail nachzubessern. Aber deshalb entwickle ich noch lange nicht ein ganz neues Auto; das wäre nicht mehr wirtschaftlich. Und ich habe größtes Vertrauen in unsere Ingenieure. Wenn es gelingt, in der Schweiz den gesamten Gotthard zu durchbohren, werden wir auch in Stuttgart ein paar Tunnel bauen können.

Stuttgart 21 steht unter einem enormen Kostendruck. Wären Sie dafür, Schwachstellen im Zweifel nachzubessern - so wie es der Schlichter Heiner Geißler angedeutet hat?


Zetsche: Die gesamte Kostendebatte folgt einer seltsamen Logik. An allen anderen Stellen quer durch die Republik, wären die Bürger froh, die Bahn würde unter die Erde gehen - so wie in Stuttgart geplant. Das hat schon jetzt seinen Preis. Trotzdem bin ich dafür, zumindest die Option für weitere Verbesserungen offenzuhalten und nichts zu verbauen. All dies aber im Blick auf einen zweiten Schritt und nicht, um den ersten Schritt gar nicht erst zu machen. Im Übrigen wissen Sie wie ich, dass die Gelder für Stuttgart21 zweckgebunden zur Verfügung stehen. Selbst wenn es immer wieder glauben gemacht wird: damit könnte kein einziger Kindergarten gebaut werden.

Dennoch: in den neuesten Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Bundesregierung schneidet die Neubaustrecke Wendlingen- Ulm hinsichtlich Nutzen und Kosten nicht gerade glänzend ab. Ist das kein Kriterium?


Zetsche: Es kann zumindest nicht das einzige sein. Nehmen Sie ein Beispiel aus der Autoindustrie: Wenn ich feststelle, dass ein Kompaktwagen, den wir auf den Markt bringen wollen, weniger wirtschaftlich ist als die parallel geplante S-Klasse, kippe ich nicht das Vorhaben. Sonst würde ich Werte vernichten, ohne etwas zu gewinnen.

Hambrecht: Wichtig scheint mir, den Blick immer wieder auch für das große Ganze zu öffnen - nämlich neue, schnelle Schienenverbindungen in Europa. Da steht, mit Verlaub, die Bundesrepublik Deutschland gegenüber Nachbarländern in der Pflicht.

Sie meinen die europäischen Magistralen. Die Verbindung von Paris über Stuttgart nach Bratislava steht nur auf dem Papier.