Der BR will das letzte Klassikprogramm der ARD ins Digitalradio verlegen. Gegen die Abschaltung des auf UKW erhebt sich aber heftiger Widerstand. Und das vor allem im Internet.

Stuttgart - Das Internet kann Menschen für alles Mögliche mobilisieren. Vor ein paar Jahren ließen sich fast hunderttausend Menschen dazu hinreißen, eine Online-Petition gegen eine EU-Verordnung zu unterzeichnen, die es gar nicht gab. Die Medien sprechen in solchen Fällen gerne von einem Sturm im Wasserglas. Um die Rundfunkwelle BR-Klassik des Bayerischen Rundfunks gibt es gerade so einen Online-Petitionssturm. Über vierzigtausend Menschen unterstützen einen Aufruf mit der Überschrift „BR-Klassik muss bleiben!“, der vor allem vom Bayerischen Musikrat vorangetrieben wird. Unter ihnen befindet sich der bekannte österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt. Er schreibt: „Ich bin entsetzt über die geplante UKW-Abschaltung von BR-Klassik! Die Folgen wären ein weiterer erheblicher Verlust an Kultur – ausgerechnet in Bayern! Ich kann es nicht fassen. Das darf nicht gemacht werden. – Wer hat denn solche Ideen. Erschrocken“.

 

Solche Wortmeldungen klingen hinreichend aufgeregt und vermögen die Gemeinde der Klassikfans zum Widerstand zu animieren. Zumal viele nach den Beschlüssen des SWR, zwei Rundfunkorchester zusammenzulegen, den ARD-Hörfunkanstalten nicht mehr über den Weg trauen. Deshalb ist man beim Bayerischen Rundfunk vollauf bemüht, das Feuer der Erregung so schnell wie möglich auszutreten.

In der Tat hat sich BR-Klassik einen herausragenden Ruf erworben. Es ist die einzige Kulturwelle der ARD, die sich fast ausschließlich der klassischen Musik widmet. Nur am späten Abend gibt es hin und wieder Jazz. Für das wortreiche Kulturprogramm mit Features, Diskussionen und Magazinsendungen leistet sich der Bayerische Rundfunk die Kulturwelle BR 2. Die rund 260 000 Hörern von BR-Klassik schätzen unter anderem die abendlichen Konzertmitschnitte.

Die Frequenz ist für ein Jugendprogramm reserviert

Bislang wird das Programm über Ultrakurzwelle, also UKW, ausgestrahlt und kann außerdem über Kabel und Satellit empfangen werden. Der BR plant, die UKW-Ausstrahlung 2016 einzustellen. Stattdessen soll die Klassikwelle ins digitale Radio (DAB+) wandern. Auf die frei werdende UKW-Frequenz soll das anspruchsvolle Jugendradio „Puls“ wechseln, das bislang digital verbreitet wird, aber bei der Zielgruppe weitgehend unbekannt ist. Mit der UKW-Verbreitung will der Sender „Puls“ voranbringen und seine Hörerschaft verjüngen. Die Hörer von vier der fünf Wellen sind derzeit im Durchschnitt über 50 Jahre alt sind. Bei der fünften, der Popwelle Bayern 3, liegt das Durchschnittsalter bei 43 Jahren.

Grund der Aufregung ist also der Zeitpunkt, an dem BR-Klassik auf Digitalradio umgeschaltet wird. Thomas Goppel, der Präsident des Bayerischen Musikrates und ehemaliger bayerischer Wissenschaftsminister, erklärt: „Die am wenigsten beweglichen älteren Hörer werden gezwungen, als erste auf das Digitalradio umzuschalten. Die Jungen nutzen sowieso andere, moderne Übertragungswege.“ Wobei sich Goppel, der Mitglied im BR-Rundfunkrat ist, nicht gegen den Umstieg auf DAB+ wehrt, allerdings mit einer verlängerten Frist, also deutlich nach 2016.

Der BR betont, niemand plane, BR-Klassik gänzlich abzuschalten, obgleich das einige der Unterzeichner der Online-Petition wohl vermuten, wie sich aus den Debattenbeiträgen erkennen lässt. Im Gegenteil, erklärt Martin Wagner, der designierte Hörfunkdirektor, der sein Amt am 1. Mai antreten soll: „Während alle anderen Wellen sparen müssen, wollen wir in diesem Jahr etwa eine Million Euro zusätzlich in BR-Klassik investieren, um zum Beispiel Live-Streams aus dem Internet zu ermöglichen.“ Und fügt hinzu: „Ich widerspreche dem Begriff „Abschalten“ ganz deutlich. BR-Klassik soll über Digitalradio in einer verbesserten Tonqualität ausgestrahlt werden – über ein Sendernetz, das dem von UKW überlegen sein wird – und all das nicht heute oder morgen, sondern nach einer angemessenen Umstellungszeit.“

Zwischen 30 und 500 Euro

Laut Angaben des Bayerischen Rundfunks nutzt rund die Hälfte der 260 000 Hörer von BR-Klassik die Satelliten- oder Kabelübertragung. Viele von jenen, die das noch nicht tun, wären technisch dazu in der Lage. Außerhalb Bayerns, von wo immerhin rund ein Viertel der Petenten stammen, ist ein UKW-Empfang ohnehin nicht möglich. Unbestritten ist auch, dass die Klangqualität des Digitalradios der Ultrakurzwelle überlegen ist. Bis Ende 2016, verspricht der BR, ist fast überall in Bayern der DAB-Empfang möglich.

Richtig ist aber auch: Wer BR-Klassik noch auf einem alten UKW-Empfänger hört, müsste sich ein neues digitales Radiogerät anschaffen. Die günstigsten Ausführungen kosten um die 30 Euro; für technisch und klanglich anspruchsvolle Geräte muss man hingegen zwischen 300 und 500 Euro hinlegen.

Die Entscheidung fällt erst nach der Sitzung des Rundfunkrats, der Mitte Mai tagt. Bis dahin wollen die Initiatoren der Online-Petition 50  000 Unterstützer versammelt haben. Der Kampf um BR-Klassik dürfte allerdings nur ein Vorgeplänkel sein. In etwa zehn Jahren soll die gesamte UKW-Ausstrahlung von Hörfunkprogrammen abgestellt werden. Dann dürften Proteste wirklich Sturmstärke erreichen.