Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen hat der Prozess gegen einen 21 Jahre alten Mann begonnen, der mit vier bislang unbekannten Komplizen in der Nacht auf den 15. Dezember 2015 einen Brandanschlag auf das Gebäude eines türkisch-islamischen Vereins in Feuerbach verübt haben soll.

Stuttgart - Der 21-Jährige schweigt. Er und sein Verteidigerteam, bestehend aus Vanessa Höch und Markus Schwab, wissen, dass das Verfahren vor der 3. Jugendstrafkammer gegen ihn wohl auf einen Indizienprozess hinausläuft. Darauf deutet auch hin, dass die Richter den Burschen aus Weilimdorf nach vier Monaten U-Haft auf freien Fuß gesetzt haben. Und das, obwohl ihm versuchter Mord, besonders schwere Brandstiftung und versuchte Brandstiftung mit Todesfolge vorgeworfen wird. Offenbar sieht die Kammer nur noch einen hinreichenden und keinen dringenden Tatverdacht mehr.

 

In der Nacht auf den 15. Dezember vorigen Jahres, so ist es auf Überwachungsvideos zu sehen, hält ein heller Wagen, wahrscheinlich ein Audi A 5, nahe der Mauserstraße in Feuerbach. Das Autokennzeichen ist nicht zu erkennen. Fünf vermummte Gestalten steigen aus, einer filmt mit dem Handy. Vor dem Gebäude Nummer 19, in dem sich ein Versicherungsbüro, eine Koranschule mit Bücherei und eine Moschee befinden, bleiben vier der Männer stehen. Ein Täter schleudert Steine gegen die Scheiben, die anderen drei schleudern Molotowcocktails in die Räume. Dann wird ein Kanonenschlag entzündet, die Täter fliehen zurück zum Auto. Das Gebäude steht unter der Verwaltung des türkisch-islamischen Vereins Ditib.

Hausmeisterehepaar kann sich retten

Das Hausmeisterehepaar wird durch den Knall aufgeschreckt und kann, als es den Brandgeruch bemerkt, unverletzt aus seiner Wohnung entkommen. Der Sachschaden beläuft sich auf rund 80 000 Euro.

Stunden später ist das Handyvideo auf Facebook zu sehen. Eine kurdische Jugendorganisation mit Namen Baran-Dersim-Rachekommando übernimmt die Verantwortung für die Attacke. Die „Racheaktion“ richte sich gegen die türkische Regierung, ist zu lesen. Unter Kurden und Türken ist der Anschlag das Topthema.

Auch bei der heute 17 Jahre alten Zeugin, die als Erste vor Gericht aussagt. Die angehende Frisörin hatte bei der Polizei ausgesagt, sie glaube, den „Dicken“ auf dem Video zu erkennen. Es sei der 21-Jährige, der jetzt angeklagt ist. Sein Name sei auch im Zusammenhang mit dem Anschlag mehrfach genannt worden. Man erkenne ihn auch an seiner Art zu rennen. Vor der 3. Strafkammer sagt sie jetzt: „Das stimmt nicht.“ Einer Kollegin soll sie gar gesagt haben, sie sei bei der Tat selbst dabei gewesen, würde es aber bereuen. „Das stimmt nicht“, so die Zeugin.

Polizeispitzel gibt Hinweis

Die Polizei hat ihr Handy ausgewertet. In einem Chat-Protokoll steht: „Ich war zwar dabei, aber nicht dafür.“ Daran könne sie sich nicht erinnern, so die 17-jährige Kurdin. Und ihre den Angeklagten belastenden Angaben bei der Polizei? Da habe sie ohne nachzudenken rausgeredet, weil sie Angst gehabt habe. Ursprünglich war sie als Beschuldigte geführt worden. Inzwischen wurde das Verfahren gegen die junge Frau mangels Beweisen eingestellt. „Ich war bei dem Anschlag nicht dabei“, betont sie.

Es gibt offenbar einen zweiten Belastungszeugen, der inzwischen ebenfalls zurückgerudert ist. Allerdings kann Oberstaatsanwältin Tomke Beddies die Aussage einer sogenannten Vertrauensperson (VP), ordinär Polizeispitzel genannt, aufbieten. Die VP-Führerin bei der Polizei wird als Zeugin aussagen.

Dem Angeklagten werden zwei weitere Vorwürfe gemacht. Anfang November 2015 soll er ein Verkehrsschild auf die Theodor-Heuss-Straße geworfen haben, um einen Autocorso zu stoppen. Damals hatten Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan in Stuttgart den sich abzeichnenden Wahlerfolg der AKP gefeiert. Der Vorwurf gegen den Angeklagten: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Und am 6. Januar dieses Jahres soll der 21-Jährige einem Mann in Weilimdorf die Faust ins Gesicht gedroschen haben. Die Hintergründe dieser Körperverletzung sind bisher noch nicht bekannt. Der Prozess wird am 19. September fortgesetzt.