Die Brasilianer haben ein zwiespältiges Verhältnis zu den Portugiesen, die sie einst regiert haben. Äußerst gerne machen sich die Südamerikaner über die einstigen Kolonialherren aus Europa lustig.

Rio de Janeiro - Warum machen Portugiesen die Toilettentür nicht zu? Damit man nicht durchs Schlüsselloch schauen kann. Und was steht auf portugiesischen Schuhsohlen? Diese Seite nach unten. Warum sind portugiesische Lokale mittags geschlossen? Weil sie Mittagspause machen. Und so weiter und so weiter. Wenn ein paar Bierchen geflossen sind, können Brasilianer mit bemerkenswerter Ausdauer Portugiesen-Witze erzählen. Es ist der Typ von Scherz, der, statt richtig lustig zu sein, sich bloß über einen anderen lustig macht. Und es liegt auf der Hand, das als Racheakt zu interpretieren: Der ehemalige Untertan veräppelt den früheren Herren.

 

Der portugiesische Seefahrer Pedro Álvares Cabral landete 1500 an den Gestaden Brasiliens. 1822 wurde die Kolonie unabhängig. Aber sie wurde keine Republik, sondern eine Monarchie. Auf dem Thron saß von 1841 bis 1889 Kaiser Pedro II., der sich zwar als Brasilianer sah, aber dennoch ein Spross des portugiesischen Königshauses Bragança war. Portugal gab also, direkt oder weniger direkt, vier Jahrhunderte lang den Ton an in Brasilien. Im Laufe der Zeit sind wohl, so schätzen die Historiker, rund zweieinhalb Millionen Portugiesen nach Brasilien gekommen: Abenteurer und Seefahrer zuerst, dann Sträflinge und konvertierte Juden, später Adlige und Bauern, im 20. Jahrhundert Krämer und Bäcker. Und in den jüngsten Krisenjahren Europas kamen Ingenieure und Computerexperten in das mittlerweile freilich nicht mehr ganz so boomende Brasilien.

Sie sprechen die gleiche Sprache – und auch wieder nicht

Auch wenn es sich oft ganz und gar nicht so anhört: In Brasilien und Portugal spricht man dieselbe Sprache. Vor allem die Aussprache ist anders – womit die Gattung des Portugiesen-Witzes zusätzlich zu würzen ist. Und so wie es portugiesische Wörter gibt, die in Brasilien unverständlich sind, so schütteln Portugiesen über manchen Brasilianismus den Kopf. Manaus verteilt zur WM nicht nur anderthalb Millionen Präservative, sondern vor dem USA-Portugal-Spiel am Sonntag auch Flugblätter, auf denen die Einheimischen zu Wohlverhalten ermahnt werden: „Benutzen Sie nicht das Wort moço, das in Portugal als vulgär gilt.“ Moço ist in Brasilien eine eher familiär-freundliche Anrede. Und natürlich fehlt auf dem Flyer auch dieser Rat nicht: „Vermeiden Sie die Portugiesen-Witze!“

Seit 1500 hat Portugal tiefe Spuren in der brasilianischen Kultur hinterlassen – vom prächtigen Kolonial-Barock bis zum berühmten schwarzweißen Wellen-Pflaster der Bürgersteige im Stadtteil Copacabana, das aus   „pedras portuguesas“, portugiesischen Steinen, gelegt ist. Die brasilianische Liebe zum „bacalhau“, dem Stockfisch als Festtagsessen, ist ebenso lusitanischen Ursprungs wie die „feijoada“, der berühmt-berüchtigte Bohneneintopf.

Sogar mit dem Karneval haben, wenn auch in ganz anderer Form, die Portugiesen angefangen. Und wenn sie nicht aus Asien die Zitrone, aus Ozeanien das Zuckerrohr und aus dem Nahen Osten die Branntweindestillation mitgebracht hätten, dann könnte man auch das brasilianischste aller Getränke nicht mixen: die Caipirinha.

„Wir haben auch die portugiesische Bürokratie übernommen“

Nicht alles aus dem portugiesischen Erbe gereicht Brasilien zum Vorteil. „Wir haben auch die portugiesische Bürokratie übernommen“, wettert Roberto DaMatta, ein in Rio de Janeiro lehrender Soziologe, „diese ganze unselige, umständliche Kultur der Bestätigungen und Bescheinigungen!“ Ja, da mag eine enge Seelenverwandtschaft bestehen: Die Telefonistin des portugiesischen Konsulats notiert Namen, Telefonnummer, Geburtsdatum und Wunsch des Anrufers, aber sie verbindet nicht, sondern beendet das Gespräch ganz und gar brasilianisch: „Schicken Sie eine E-Mail!“

Historisch haben sich in Brasilien kurioserweise gleich zwei Stereotypen des Portugiesen herausgebildet – und zwar zwei, die sich widersprechen. Da gibt es einerseits den Blutsauger-Typus, der sich als Bankier, Handelsherr, Unternehmer, generell als Profiteur unbeliebt macht. Tatsächlich kam es im 19. Jahrhundert zu diversen Übergriffen gegen reiche Portugiesen, zum Beispiel 1834 in der Provinz Mato Grosso, mit Dutzenden von Toten. Zu Beginn der 20. Jahrhunderts erschien in Rio ein antilusitanisches Hetzblatt, das sich für die Vertreibung der Portugiesen starkmachte. Aber über diese Stereotype ging die Zeit hinweg. Es gibt kaum noch Portugiesen, die als gesellschaftliche Gruppe so viel Macht und Einfluss haben, dass sie vergleichbare Ressentiments hervorrufen könnten.

  Der zweite Typ ist der bettelarme Habenichts, den die Not aus dem Heimatland vertrieb und der nach der Sklavenbefreiung 1888 mit den Schwarzen auf dem Arbeitsmarkt konkurrierte. Er nahm noch die miesesten Jobs an, die die gewitzten Brasilianer – und in der Figur des „malandro“ stilisiert sich der Brasilianer gerne als gewitzt – ablehnten. Im Kontrast dazu stand freilich ihre Neigung, trotz aller Identifikation mit der neuen Heimat ihre portugiesischen Wurzeln zu betonen – weil die ihre einzige, nicht zu leugnende „Überlegenheit“ darstelle, wie das der brasilianische Anthropologe Darcy Ribeiro entschlüsselte. „Und ein Trottel, der sich für etwas Besseres hält – der gibt die ideale Witzfigur ab.“