Die düstere Serie „Broadchurch kurbelt in Südengland den Tourismus an. Von Sonntag an läuft sie im ZDF. Ob sich das Einschalten lohnt?

Stuttgart - Gerade diese Woche waren wieder zwei deutsche Busse da“, freut sich Steve. Der braun gebrannte Endfünfziger ist Mitarbeiter des gemeinnützigen National Trust, der in Großbritannien die Pflege und Verwaltung historischer Gebäude und Landschaften übernimmt. In den Sommermonaten arbeitet Steve an der südenglischen Jurassic Coast am Hive Beach, gibt Auskünfte, verkauft Souvenirs zugunsten des National Trust. Beidseits der Badebucht fallen die grünen Hügel West Dorsets steil ins Meer. Die ziegelroten, um die dreißig Meter hohen Klippen leuchten weit in den Ärmelkanal hinaus. Schön, aber sehr gefährlich. Schilder warnen: Mit Steinschlag ist zu rechnen.

 

Ein attraktives Ausflugsziel war diese Region schon immer, eine Fernsehserie hat sie zur Pilgerstätte werden lassen: Die Krimiserie „Broadchurch“ zog im März 2013 bis zu zehn Millionen Briten vor die Fernseher, war das Tagesgespräch und auch in anderen Ländern enorm erfolgreich. Jetzt kommen die Besucher nicht mehr nur, um den Küstenpfad zu erwandern, nach Fossilien zu suchen oder im Meer zu baden – sie machen Fotos, wo im Film die Leiche des elfjährigen Danny Latimer gefunden wurde, kaufen eine Kleinigkeit im Kiosk, dessen Besitzer in der Serie zu den Verdächtigen zählt, fotografieren die Polizeistation, deren Erdgeschoss in Wirklichkeit von einem Fachgeschäft für Sicherheitskleidung beansprucht wird.

Auch deutsche Touristikunternehmen haben den Hauptdrehort West Bay als Destination entdeckt. Reisebusse, eigentlich unterwegs zu den Pilcher-Drehorten in Devon und Cornwall, machen neuerdings Abstecher nach West Bay, hat Steve beobachtet. Auch Autos mit deutschen Kennzeichen sind keine Besonderheit mehr. Im kleinen Hafen von West Bay hängt ein Informationsplakat, das den Weg zu den Serienschauplätzen weist. Sie sind ohne weiteres zu finden. West Bay ist Broadchurch: das markante blaue Haus, in dem Ermittler Alec Hardy wohnt, die Schutzhütte auf dem Pier, in der Hardy heimlich seinen Arzt traf, das Ellipse Café – alles so, wie in der Serie gezeigt. Auch das auf den westlichen Klippen gelegene Wohnhaus mit der atemberaubenden Aussicht, in der zweiten Staffel Rückzugsort der von Charlotte Rampling gespielten Anwältin Jocelyn Knight.

Die Einheimischen freuen sich

Die Übereinstimmungen sind kein Zufall. Chris Chibnall, der Autor der Serie, lebt im nahen Bridport und hatte sich beim Entwurf seiner Geschichte von der Geografie West Bays und umliegender Gemeinden leiten lassen. Die Einheimischen stören sich nicht an dem von Chibnall ausgelösten Zulauf. Im Gegenteil. Die „Broadchurch“-Fans bedeuten steigende Einnahmen. Die fließen unter anderem in den Schutz der gefährdeten Landschaft, wie Steve vom National Trust erklärt.

Die Auswirkungen der populären TV-Serie auf den Fremdenverkehr sind sogar wissenschaftlich belegt. Joanne Connell von der Universität Exeter legte Anfang 2014 eine entsprechende Studie vor. Alle im weiteren Sinne vom Tourismus profitierenden Branchen fanden Eingang. Demnach meldeten 77 Prozent für die Monate nach Ausstrahlung von „Broadchurch“ im Vergleich zum Vorjahr gestiegene Kundenzahlen. 47 Prozent dieser Geschäftsleute sehen einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Fernsehserie. Bestätigung findet diese Aussage durch Vergleiche mit den Zahlen anderer Touristenorte.

Bei der Bewertung dieser positiven Erfahrungen darf der Charakter der Serie nicht außer Acht bleiben. Denn „Broadchurch“ ist nicht vergleichbar mit den leichtgewichtigen deutschen ‚Urlaubsort-Krimis‘ mit ihrer Postkartenfotografie. Die düstere Fortsetzungsgeschichte erzählt vom Mord an einem Kind und den dramatischen Auswirkungen auf eine kleine bürgerliche Gemeinschaft. Niemand, der nicht auf irgendeine Weise in Mitleidenschaft gezogen wird. Die trauernden Eltern, die Nachbarn, Verdächtige, auch die Ermittler, die eine schwere Bürde zu tragen haben.

Der Kultstatus hilft

Bemerkenswert ist, dass 1999 mit „Harbour Lights“ schon einmal eine Serie in West Bay gedreht wurde. Auch dort kamen die Klippen, der Kieselstrand, der beschauliche Hafen ausgiebig zur Geltung, dennoch verzeichneten Gastronomen und Hoteliers nach Angaben von Beobachtern in West Bay keine nennenswerten Impulse. Voraussetzung für positive Effekte sind, so einige der von Dr. Connell formulierten Thesen, eine emotionale Bindung der Zuschauer an die Serienfiguren, ein gewisser Kultstatus einer Film- oder TV-Produktion oder die Einbindung in eine bestehende historische, literarische oder popkulturelle Mythologie, wie sie zum Beispiel mit den „Harry Potter“-Filmen oder der „Herr der Ringe“-Saga geschaffen wurde.

Ein Erfolgsfaktor anderer Art beruht auf dem technischen Fortschritt. Die Tourismusexperten in West Devon setzten rechtzeitig auf das Internet, um ihre Region in Zusammenhang mit „Broadchurch“ zu bewerben, erstellten eine „Broadchurch“-Webseite, veranstalteten Gewinnspiele, bedienten die sozialen Medien.

Interessant wäre, wie eine Vergleichsstudie neueren Datums ausfiele. Denn die zweite Staffel von „Broadchurch“, die ab 3. April im ZDF zu sehen sein wird, fand im Herkunftsland geringeren Zuspruch. Zu Unrecht. „Broadchurch II“ fällt allerdings komplexer aus. Die neuen Folgen führen die bekannte Handlung weiter. Alec Hardy (David Tennant) hatte den Mörder entlarvt und ihm ein Geständnis entlockt. Noch glaubt er, die anstehende Anhörung vor Gericht sei nur eine Formsache. Er irrt sich. Zur Überraschung sogar der eigenen Anwältin widerruft der Beschuldigte sein Geständnis. Und er könnte damit durchkommen, denn den Ermittlern werden gravierende Verfahrensfehler vorgeworfen.

Bedrohung als Chance

Es entsteht eine für alle Beteiligten belastende Situation. So wird „Broadchurch“ einerseits zum Gerichtskrimi, auf einer zweiten Handlungsebene muss Detective Hardy die nahe Broadchurch untergebrachte Claire Ripley (Eve Myles) schützen. Sie hatte in einem Mordprozess gegen ihren Ehemann ausgesagt. Doch der wurde freigesprochen und verschwand ins Ausland. Nun ist er heimlich zurückgekehrt. Eine Bedrohung für Claire. Aber vielleicht auch eine Chance, den damaligen Fall noch aufzuklären.