Landräte: Volkswahl reloaded

Ein Koalitionsvertrag ist keine Bibel, hat Gerhard Schröder (SPD), der Kanzler der rot-grünen Bundesregierung, einmal gesagt. Winfried Kretschmann (Grüne), der Ministerpräsident der grün-roten Landesregierung, sieht das ähnlich. Im wörtlichen Sinne sowieso, im übertragenen Sinne wohl auch – zumindest wenn es um die Direktwahl der Landräte geht. In ihrem Koalitionsvertrag versprechen Grüne und Rote „mehr Demokratie in den Kommunen“, wozu sie auch die Volkswahl der Landräte zählen. Dahinter steckt aber nicht nur die Liebe zur direkten Demokratie. Mittels Volkswahl hoffen Grüne und Rote vielmehr, wenigstens da und dort in die liberal-konservativ geprägte Phalanx der Landräte eindringen zu können – wie in Bayern, wo gelegentlich Landräte mit SPD- und neuerdings auch Grünen-Parteibuch gesichtet werden. Doch der oberste Bedenkenträger gegen die Volkswahl sitzt im Staatsministerium und heißt Winfried Kretschmann. Der Ministerpräsident scheut den Konflikt mit den Landräten, die nicht alle von der Volkswahl überzeugt sind. Außerdem seien die Landräte nicht nur kommunale, sondern auch staatliche Aufgabenträger – und in dieser Rolle weisungsabhängig. Grüne und SPD haben die Forderung dennoch wieder ins Wahlprogramm geschrieben. rer

Planungsleitfaden: Erlers Werk

Im Koalitionsvertrag legte Grün-Rot fest, einen „Leitfaden für eine neue Planungs- und Beteiligungskultur“ zu erarbeiten. Ziel sei es, die Bürger bei bedeutsamen Infrastrukturvorhaben frühzeitig einzubeziehen, „ohne dadurch Entscheidungsprozesse zu verlangsamen“. Tatsächlich legte Gisela Erler, die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, im November 2013 den Planungsleitfaden vor. Er besteht aus zwei Teilen. Zum einen umfasst er eine Verwaltungsvorschrift, welche die Landesbehörden immer dann zu einem Beteiligungsverfahren verpflichtet, wenn sich gegen ein Projekt Widerspruch erhebt. Nur in „offenkundig unstreitigen Fällen“ könne darauf verzichtet werden. Der Verwaltungsvorschrift ist eine 63-seitige Handreichung mit dem Titel „Leitfaden für eine neue Planungskultur“ beigegeben, die die abstrakten Vorschriften mit Vorschlägen und Praxisbeispielen unterlegt. Da geht es um Runde Tische, Projektbeiräte, Empfehlungen zur Nutzung des Internets oder bürgerfreundliche Veranstaltungen. Verbindlich ist der Planungsleitfaden indes nur dort, wo das Land als Projektträger auftritt; dies bei Vorhaben, die ein Planfeststellungsverfahren voraussetzen oder eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, also etwa bei großen Windparks. rer

Die wichtigste Neuerung: Das Zustimmungsquorum bei Volksabstimmungen liegt jetzt bei einem Fünftel der Stimmberechtigten, nicht mehr bei einem Drittel. Das bedeutet: Für den Abstimmungserfolg ist eine Mehrheit erforderlich, die zugleich mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten umfasst. Nur bei verfassungsändernden Volksabstimmungen liegt das Quorum bei der Mehrheit der Stimmberechtigten. Auf kommunaler Ebene wurde das Quorum ebenfalls auf 20 Prozent abgesenkt.

Es geht nicht um das „ob“, sondern um das „wie“

Im Ergebnis verwandelte Grün-Rot das Land nicht in eine Hochburg der direkten Demokratie. In Bayern zum Beispiel sind die Hürden für direktdemokratische Verfahren niedriger. Eine „Verschweizerung“ der politischen Willensbildung sei auch gar nicht das Ziel gewesen, sagt Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft. Sie unterscheidet fein zwischen der direkten Demokratie, deren Instrumente in besonderen Fällen zur Anwendung gebracht werden sollen, und den vielerlei „dialogischen Verfahren“, welche die Bürger zu Mitgestaltern politischer Prozesse machen sollen. Dabei gehe es nicht, so Erler, um das „ob“ einer Maßnahme, sondern um das „wie“ der Umsetzung.

Ob nun direkte Demokratie oder demokratischer Dialog: Grün-Rot verbuchte in der partizipativen Praxis Erfolge, aber auch Rückschläge. Der Filderdialog, mit dem das Staatsministerium am Beispiel der Filderbahnhofs für Stuttgart 21 zeigen wollte, wie Bürgerbeteiligung funktioniert, erwies sich als Hüftschuss und endete im allseitigen Zerwürfnis. Bei der Suche nach einem neuen Gefängnisstandort lohnte sich indes die Geduld der Regierung: Sie wurde nach einem langen Suchlauf in Rottweil fündig, legitimiert durch einen Bürgerentscheid.

Mit den Bürgern geht es einfacher

Im Fall des Nationalparks Schwarzwald rühmt sich die Landesregierung eines breiten Beteiligungsverfahrens. Die Opposition wirft ihr freilich vor, die in den Gemeinden zuvor initiierten, ablehnenden Bürgerentscheide missachtet zu haben. Kretschmann erwiderte darauf, der Nationalpark sei eine Angelegenheit, die das ganze Lande betreffe, weshalb darüber im Landtag entschieden werde. Wer einen direktdemokratischen Beschluss herbeiführen wolle, müsse eine Volksabstimmung in Gang bringen.

Fazit: In Baden-Württemberg zeigt sich ein geschärftes Bewusstsein, dass mit den Bürgern in der Regel leichter etwas zu erreicht ist als gegen die Bürger. Diese Erkenntnis hat nicht erst Grün-Rot in die Welt gebracht. Aber sie ist seit 2011 weiter verbreitet. Dank Grün-Rot, vor allem aber auch nach den bitteren Auseinandersetzungen um Stuttgart 21.

Nachgeprüft im Koalitionsvertrag

Landräte: Volkswahl reloaded

Ein Koalitionsvertrag ist keine Bibel, hat Gerhard Schröder (SPD), der Kanzler der rot-grünen Bundesregierung, einmal gesagt. Winfried Kretschmann (Grüne), der Ministerpräsident der grün-roten Landesregierung, sieht das ähnlich. Im wörtlichen Sinne sowieso, im übertragenen Sinne wohl auch – zumindest wenn es um die Direktwahl der Landräte geht. In ihrem Koalitionsvertrag versprechen Grüne und Rote „mehr Demokratie in den Kommunen“, wozu sie auch die Volkswahl der Landräte zählen. Dahinter steckt aber nicht nur die Liebe zur direkten Demokratie. Mittels Volkswahl hoffen Grüne und Rote vielmehr, wenigstens da und dort in die liberal-konservativ geprägte Phalanx der Landräte eindringen zu können – wie in Bayern, wo gelegentlich Landräte mit SPD- und neuerdings auch Grünen-Parteibuch gesichtet werden. Doch der oberste Bedenkenträger gegen die Volkswahl sitzt im Staatsministerium und heißt Winfried Kretschmann. Der Ministerpräsident scheut den Konflikt mit den Landräten, die nicht alle von der Volkswahl überzeugt sind. Außerdem seien die Landräte nicht nur kommunale, sondern auch staatliche Aufgabenträger – und in dieser Rolle weisungsabhängig. Grüne und SPD haben die Forderung dennoch wieder ins Wahlprogramm geschrieben. rer

Planungsleitfaden: Erlers Werk

Im Koalitionsvertrag legte Grün-Rot fest, einen „Leitfaden für eine neue Planungs- und Beteiligungskultur“ zu erarbeiten. Ziel sei es, die Bürger bei bedeutsamen Infrastrukturvorhaben frühzeitig einzubeziehen, „ohne dadurch Entscheidungsprozesse zu verlangsamen“. Tatsächlich legte Gisela Erler, die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, im November 2013 den Planungsleitfaden vor. Er besteht aus zwei Teilen. Zum einen umfasst er eine Verwaltungsvorschrift, welche die Landesbehörden immer dann zu einem Beteiligungsverfahren verpflichtet, wenn sich gegen ein Projekt Widerspruch erhebt. Nur in „offenkundig unstreitigen Fällen“ könne darauf verzichtet werden. Der Verwaltungsvorschrift ist eine 63-seitige Handreichung mit dem Titel „Leitfaden für eine neue Planungskultur“ beigegeben, die die abstrakten Vorschriften mit Vorschlägen und Praxisbeispielen unterlegt. Da geht es um Runde Tische, Projektbeiräte, Empfehlungen zur Nutzung des Internets oder bürgerfreundliche Veranstaltungen. Verbindlich ist der Planungsleitfaden indes nur dort, wo das Land als Projektträger auftritt; dies bei Vorhaben, die ein Planfeststellungsverfahren voraussetzen oder eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, also etwa bei großen Windparks. rer