Die Grünen wollen den Lobbyismus bei der Aufstellung des Bürgerhaushalts einschränken. Ihr Bürgermeister Wölfle warnt, das könne andere Teilnehmer abschrecken.

Stuttgart - Bei kaum einem anderen Themen hört man im Gemeinderat so viel Lob wie beim Thema Bürgerhaushalt. Auch die zweite Auflage des Etats, bei dem die Stuttgarter selbst Vorschläge für Ausgaben und Einsparungen im Stadthaushalt machen können, wird von den Fraktionen im Rat positiv bewertet. Andrea Münch (Grüne) nennt das Verfahren „ein junges und erfolgreiches Kind der Landeshauptstadt“, Manfred Kanzleiter (SPD) betonte, der Bürgerhaushalt sei „eine gute Möglichkeit für den Rat, seine eigenen Anträge auf den Prüfstand zu stellen“. Hannes Rockenbauch (SÖS), einer der Vorkämpfer des Projekts, erklärte, die Vorschläge müssten für die Entscheidungen der Stadträte verbindlich werden.

 

Zum nächsten Doppelhaushalt 2016/2017 soll das großenteils onlinegestützte Verfahren nochmals optimiert werden, um mehr Bürger für eine Teilnahme zu interessieren. Das wäre auch angebracht: Zwar haben sich im Vergleich zur ersten Auflage die Teilnehmerzahlen verdreifacht. Dennoch seien jene knapp 30 000 Einwohner der Landeshauptstadt, die zu den Etatberatungen 2014/2015 insgesamt rund 3000 Vorschläge in den Bürgerhaushalt eingespeist hatten, eben doch „eine Minderheit“, wie die Stadträtin der Freien Wähler, Rose von Stein, bei der Beratung des nächsten Beteiligungsverfahrens im Verwaltungsausschuss anmerkte.

Organsierte Interessengemeinschaften sind im Vorteil

Durch noch mehr Öffentlichkeitsarbeit in den einzelnen Stadtbezirken und Umstellungen bei der Bewertung der Vorschläge will die Stadt den Bürgern die Teilnahme schmackhaft machen. Künftig sollen ausschließlich die positiven Wertungen eines Vorschlags über die Reihenfolge der Bürgerideen entscheiden und nicht mehr die Differenz zwischen Positiv- und Negativwertungen.

Auffallend war bei den bisherigen zwei Durchgängen, dass sich organisierte Gruppen bei der Platzierung ihrer Vorschläge leichter taten als nicht organisierte Bürger. Um künftig organisierten Lobbygruppen wie etwa dem Verein Haus & Grund, der seit Beginn des Bürgerhaushaltsverfahrens 2011 das Thema Grundsteuersenkung mittels Unterschriftenlisten auf der Wunschliste möglichst weit oben platzieren will, das Geschäft ein bisschen zu erschweren, plädiert nun eine Mehrheit unter Führung von Grünen und CDU im Rat dafür, Unterschriftenlisten bei der Online-Abstimmung nicht mehr zuzulassen. Unterschriftenlisten sollen künftig „nicht internetaffinen Personen“ vorbehalten bleiben, beantragte Grünen-Stadträtin Andrea Münch. Im Klartext: Nur wer seine Ideen auf dem Postweg einspeisen will, soll deren Wichtigkeit auch mittels Unterschriftensammlung unterstreichen dürfen.

Bürgermeister will Unterschriftenlisten weiterhin zulassen

Der Antrag der Grünen rief Kritik von unerwarteter Seite hervor: „Ich kann Ihre Argumentation nicht nachvollziehen, Frau Münch“, entgegnete ihr Parteifreund, Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle. Gerade auch für Grüne seien Unterschriftenlisten immer eine wichtige Form der Meinungsbildung gewesen, erinnerte er die Fraktion an ihre politischen Wurzeln. Zudem sei das Thema bereits im überparteilichen Arbeitskreis Bürgerhaushalt ausführlich diskutiert worden. Dort habe die Meinung vorgeherrscht, das Unterschriftenlisten auch online weiterhin zugelassen werden sollten. Wer von den Stadträten dabei gewesen sei, der wisse das auch.

Im Übrigen, so Wölfle, treffe man mit einem solchen Beschluss die Falschen und riskiere, dass interessierte Bürger von einer Teilnahme abgeschreckt würden: „Haus & Grund ist auch in der Lage, massenhaft Postkarten zu produzieren – andere nicht“. Weil Münch ihren Antrag aber aufrecht erhielt („Der Bürgerhaushalt ist nicht mit anderen Verfahren gleichzusetzen“), soll das Thema jetzt nochmals im Arbeitskreis Bürgerhaushalt diskutiert werden.