Beim Klinikpersonal gibt es schon seit längerem Unmut über die Verhältnisse auf der Akutstation - und auch von außerhalb wird Kritik laut.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Im Zentrum für seelische Gesundheit des städtischen Klinikums herrscht Unruhe. Kritische Stimmen über die Verhältnisse auf der Akutstation der Psychiatrie hat es seit längerem gegeben. Nach einem Vorfall, bei dem kürzlich Pflegekräfte bei einem Gerangel mit einem Patienten verletzt wurden, haben sich Beschäftigte an die Öffentlichkeit gewandt. Aufgrund hoher Fluktuation unter den Ärzten und der Konzentration auf nur noch eine Notaufnahmestation sei ein untragbarer Zustand eingetreten.

 

Anfang November 2008 hat in der Psychiatrie des städtischen Klinikums eine neue Ära begonnen. Karl-Ludwig Täschner, der die Psychiatrie 23 Jahre lang geleitet hatte, übergab die Ärztliche Direktion des Zentrums für seelische Gesundheit an Martin Bürgy. Mit der Berufung des renommierten Psychiaters und Psychotherapeuten, der von der Universität Heidelberg, einer der angesehensten Institutionen in der deutschen Psychiatrie, nach Stuttgart wechselte, begann die medizinisch und politisch gewollte Neustrukturierung des Zentrums für seelische Gesundheit.

 Kritik am neuen Kurs

Ein zentraler organisatorischer Schritt der Neuerung: die Gebiete Sucht und Alterspsychiatrie wurden zu eigenen Bereichen entwickelt, neben der Klinik für Spezielle Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, die Martin Bürgy selbst leitet. Im Zuge der beabsichtigten Differenzierung und Spezialisierung der Stationen beschränkte man sich anders als zuvor auf nur noch eine zentrale Akutstation für die Aufnahme von Notfällen.

Schon bald setzte ein in einem solchen Veränderungsprozess nicht ungewöhnlicher Personalwechsel unter den Ärzten ein. Aus Kreisen des Pflegepersonals war immer wieder Kritik zu hören an dem neuen Kurs, der unter anderem geprägt ist durch eine Stärkung der psychotherapeutischen Behandlung der Patienten und offeneren Stationen. Die Rede war von unzureichender Medikation bei Akutpatienten.

Durch einen Zwischenfall, der sich vor kurzem an einem Wochenende auf der Notfallstation ereignete, sehen sich kritische Pflegekräfte in ihrer Haltung bestätigt. Nach den Erzählungen hat sich ein in der Klinik bekannter, an einer Psychose leidender Patient gemeldet, eine Verschlechterung seines Zustandes angezeigt und um eine Behandlung gebeten. Ein hinzugezogener Assistenzarzt wollte zunächst die Meinung seines Oberarztes hören, was sich hinzog. In der Zwischenzeit habe sich der Zustand des Patienten verschlechtert, bis dieser zuletzt um sich schlug. In der Folge stürzte ein Pfleger, brach sich einen Arm mehrfach, zwei Pflegerinnen erlitten Schrammen am Kopf.

Nur drei von 50 Stellen nicht besetzt

Ein Mitarbeiter beklagt, dass es aufgrund der "extremen Fluktuation" auf der Akutstation zu wenige erfahrene Fachärzte gebe. Durch die Umstrukturierung sei eine Engstelle entstanden. Weitaus häufiger als früher müssten Patienten vorübergehend in Betten auf dem Gang untergebracht werden. Der Personalratsvorsitzende des Klinikums, Jürgen Lux, bestätigt auf Anfrage, dass es aus der Notfallaufnahme des Zentrums für seelische Gesundheit von Pflegekräften ebenso wie aus dem Kreis der Assistenzärzte "Überlastungsanzeigen" gebe.

Claude Krier, der Ärztliche Direktor des städtischen Klinikums, weiß um den Vorgang, den er bedauert, der aber immer mal vorkommen könne. Man habe sich der Sache bereits angenommen. Krier räumt ein: "Über die Notaufnahme müssen wir reden." Grundsätzlich ist der Ärztliche Direktor mit den Veränderungen, die Martin Bürgy vorgenommen hat, sehr zufrieden (Bürgy selbst war gestern wegen einer Erkrankung nicht erreichbar).

Auf dem Weg zu einer moderneren, offeneren Psychiatrie sei man ein gutes Stück vorangekommen. So sei die Zusammenarbeit mit ambulanten Einrichtungen verstärkt worden, ebenso die Psychotherapie, "damit die Patienten gerade nicht mit der chemischen Keule ruhig gestellt werden", sagte Krier. Und es gebe heute Mutter-Kind-Angebote. "Über das alles sind wir sehr glücklich." Man habe inzwischen auch ein "junges, qualifiziertes Team" an Ärzten, nur drei von 50 Stellen seien nicht besetzt. Dies sei angesichts des Fachkräftemangels in der Psychiatrie keineswegs selbstverständlich und zeige: "Die Richtung stimmt auf jeden Fall."

 Dem Krankenhausbürgermeister liegen Klagen vor

Eine Betroffene, die an einer chronischen psychischen Erkrankung leidet, bestätigt dies. "Es gibt heute mehr Therapeuten, die Medikamente werden vorsichtiger dosiert, auch Akutmedikamente", sagt die Psychiatrieerfahrene. "Alles ist nicht mehr so krass." Sie sei froh, dass der neue Psychiatriechef "nicht der biologischen, sondern der humanistischen Schule anhängt."

Auch der Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) ist mit der Sache befasst und hat ein Krisengespräch anberaumt. Ihm liegen nicht nur Klagen von Beschäftigten vor, auch niedergelassene Psychiater haben sich in Briefen an ihn gewandt. Wölfle will von den Beteiligten wissen, wie es um Management und Kommunikation in dem Bereich steht: "Die Frage ist, ob da alle mitgenommen werden."

Der Umzug nach Bad Cannstatt steht bevor

Altstandort Noch ist das Zentrum für seelische Gesundheit im Bürgerhospital untergebracht. Im Zuge der Umstrukturierung des Klinikums mit der Konzentration der ehemals vier auf zwei Standorte sollte die Psychiatrie in einem Neubau beim Katharinenspital unterkommen. Weil die räumlichen Verhältnisse in dem Altbau aber so schwierig sind, hatte die Stadt beschlossen, die Psychiatrie vorübergehend in einem Neubau am Standort Bad Cannstatt unterzubringen, der früher fertiggestellt wird.

Neubau Inzwischen haben die Planer ihr Konzept geändert. Die Psychiatrie soll nun dauerhaft in Bad Cannstatt bleiben, was unter den Anwohnern im Umfeld für Unmut gesorgt hat. Umzug Im März 2012 wird die Psychiatrie in den 63,4 Millionen Euro teuren Neubau umziehen. Sie wird dort 242 Betten für Erwachsene haben, 24 für Kinder- und Jugendliche sowie 32 Plätze für Schüler. "Wir sind heilfroh, wenn wir endlich in Bad Cannstatt sind", sagt Claude Krier, der Ärztliche Direktor des Klinikums. "Das wird vieles erleichtern."