Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Sie erwähnten, dass sich Ihre erste Ehefrau das Leben genommen hat. Wie kam es dazu?
Mit 30 hatte ich Gitta geheiratet, mit 37 machte sie mich zum Witwer. Sie studierte damals Medizin. Für das Praktische Jahr ging sie nach Friedrichshafen, ich hatte eine Pfarrstelle in Reutlingen. Sie arbeitete in dieser Zeit wahnsinnig viel, so dass wir uns nur noch sporadisch sahen. Irgendwann machte sie Andeutungen, dass sie sich gerne „auflösen“ würde. Von ihrem Tod erfuhr ich am ersten Tag einer Gruppenreise nach Rumänien, die ich leitete. Ich bin sofort zurück nach Reutlingen, beerdigte sie und flog wieder nach Rumänien, um die Reise zu Ende zu leiten. Die Gruppe aus meiner Kirchengemeinde war in dieser Situation eine Stütze für mich – im Gegensatz zu einigen Vorgesetzten, deren Vorbehalte ich in den folgenden Monaten zu spüren bekam. Es gehört sich eben nicht, dass sich die Frau eines Pfarrers umbringt.
Hat Sie das zusätzlich belastet?
Nein. Das einzig Positive am Tod meiner Frau war, dass mir von diesem Moment an egal war, was andere über mich denken. Ich wollte keine Amtsperson mehr sein, nicht mehr diese überhöhte, unwirkliche Rolle spielen, sondern nur noch ein Mensch sein. Erschreckend war für mich, dass einer meiner ersten Gedanken nach Gittas Tod war: Jetzt möchte ich keinen Pfarrer hören. Die üblichen Worte, die ich vom Friedhof kannte und manchmal auch selbst von mir gab, hätte ich nicht ertragen. Ich wollte nicht in einer untröstlichen Situation getröstet werden. Ein Kollege sagte: „Es gibt ja Jesus.“ Ich dachte: Meine Frau ist tot, was nützt es mir, wenn Jesus lebt? Ich wollte, dass meine Frau lebt, und fühlte mich wahnsinnig einsam. In dieser Situation begann ich zu suchen und stieß auf das Buch „Ich sehe deine Tränen“ von Jorgos Canacakis. Seine Worte packten mich. Ich meldete mich für ein Trauerseminar von Canacakis an – noch ohne zu wissen, was dort geschieht.
Und? Was geschah?
Eine Meditation, die Teil des Seminars war, heilte mich sozusagen: Imaginär ging ich mit meiner Frau durch eine Schlucht, und wir sagten uns, was wir versäumt hatten, uns zu sagen. Am Ende kamen wir an einen Strand, wo wir uns zum letzten Mal umarmten. Dann ging meine Frau auf ein Schiff und segelte davon. Als das Schiff am Horizont verschwand, schlug Canacakis auf einen riesigen Gong und sagte Sätze wie: „Jetzt ist sie weg, und du wirst sie nie wieder sehen!“ Dieser Schnitt, der mit dem Gong eingeläutet wurde, war für mich etwas ganz Wichtiges: Als ich heimkam, hatte meine tote Frau keinen Einfluss mehr auf mich.
Es gab also ein Mittel gegen Ihr Seelenleid. Haben Sie auch etwas gefunden, dass das Asthma lindert, unter dem Sie seit der Jugend leiden?
Um die Entzündungen in den Bronchien zu unterdrücken, nehme ich viel Cortison, was aber leider schlimme Nebenwirkungen hat: Meine Knochen sind brüchig, und meine Haut reißt sofort, wenn ich mich irgendwo stoße.
Warum tut Ihnen Gott so etwas an?
Das wüsste ich auch gerne. Viele gläubige Menschen meinen ja, dass alles einen Sinn hat. Ich bin der Ansicht, dass eine Krankheit wie meine sinnlos ist. Gleichwohl frage ich mich manchmal, wie ich geworden wäre, wenn ich immer gesund gewesen wäre. Mein chronisches Asthma hat mich ja auch zum Guten verändert: Ich bin aufmerksamer für Leid geworden.