Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Wie werden Assistenzhunde ausgebildet?
Im Welpenalter wird mit ihnen ein Wesenstest gemacht. Dabei prüft man unter anderem, wie der Hund auf Berührungen, Geräusche oder ungewöhnliche Objekte reagiert. Die besonders anhänglichen, gelassenen Tiere kommen in Patenfamilien, wo sie etwa 15 Monate lang leben: Sie werden an alltägliche Situationen herangeführt und sozialisiert. Anschließend kommen die Junghunde ins Vita-Trainingszentrum nach Hümmerich, wo sie speziell auf ihre spätere Aufgabe als Assistenzhunde vorbereitet werden. Während der gesamten Ausbildung wird keinerlei Druck ausgeübt, alles passiert spielerisch und durch positive Verstärkung – Leckerlis, Lob und Streicheleinheiten. Mit zwei Jahren kommen die Hunde dann in Kontakt mit dem Menschen, dem sie helfen sollen.
Wusste Christian damals bereits, wie er sich Keck gegenüber verhalten muss?
Nein, das bekam er im Sommer 2010 bei der sogenannten Zusammenführung beigebracht, die aus rund 500 Übungsstunden bestand. Dabei lernten auch mein Mann und ich, wie man ein Kind-Hund-Team lenkt. Während dieser Zeit wohnten wir und weitere Teams im Privathaus der Vita-Gründerin Tatjana Kreidler. Man kochte gemeinsam, aß gemeinsam und trainierte gemeinsam – wie in einer großen Familie. Das war etwas ganz Besonderes.
Wie lief das Training ab?
Zunächst ging es darum, in kleinen Schritten eine emotionale Bindung zwischen Christian und Keck aufzubauen: spazieren gehen, kuscheln, Fell kämmen, Leckerlis geben. Dann wurden Kommandos geübt, die dem Hund verbal und über Körpersprache übermittelt werden. Das geht weit über das hinaus, was man sich unter einer normalen Hundeerziehung vorstellt. Keck sieht auf Befehl Christian beispielsweise direkt in die Augen oder darf nur etwas fressen, wenn Christian ihm das erlaubt. Der Hund führt solche Befehle aber nicht aus, weil er es muss, sondern weil er es will, nicht aus Angst vor einer möglichen Strafe, sondern aus purer Freude darüber, dass er Christian einen Gefallen tun kann.
Hat Keck zu Christian eine engere Beziehung als zu Ihnen oder Ihrem Mann?
Zumindest hat Keck zu Christian ein anderes Verhältnis als zu mir und meinem Mann. Wenn wir dem Hund beispielsweise sagen, er solle sich in sein Körbchen legen, und er hat dazu keine Lust, dann läuft er zu Christian. Damit hebelt er unsere Autorität aus. Schimpfen können wir ihn jedoch nicht, weil es ja seine eigentliche Aufgabe ist, an Christians Seite zu sein – und das nutzt der Hund manchmal aus.
Ist Christian mit Keck auch alleine unterwegs?
Aber sicher, er geht mit dem Hund regelmäßig Gassi. Keck läuft an der linken Seite des Rollstuhls und muss sich immer auf Christians Geschwindigkeit einlassen. Das heißt, bei Innenkurven läuft er langsamer, bei Außenkurven schneller. In diesem Modus darf er nicht schnüffeln, pinkeln oder auf andere Hunde zugehen. Keck wird von Christian meistens abgeleint, sobald es die Situation erlaubt. Nach dem Kommando „okay“ darf der Hund sich frei bewegen und tun, was er will, bis er wieder gerufen wird.
Wie reagieren die Leute auf Keck?
Christian wird häufig auf seinen Hund angesprochen. Viele sind beeindruckt, weil sie spüren, was für ein eingespieltes Team die beiden sind. Mein Sohn bekommt dadurch soziale Kontakte, die er ohne den Hund nicht hätte. Keck ist eben nicht nur im wahrsten Sinne ein Türöffner für ihn, er öffnet ihm auch eine Tür in die Gesellschaft.
Und wie dient der Hund Christian im Alltag?
Er hebt ihm alles auf, was ihm runtergefallen ist. Er zieht ihm die Schuhe aus, wenn er von der Schule heimkommt, und hilft ihm, seinen Ranzen auszupacken. Retriever haben ja ein „weiches Maul“, weil sie dazu gezüchtet wurden, Enten bei der Jagd zu apportieren. Er kann Christian beispielsweise so sanft die Mütze vom Kopf nehmen, dass nicht die geringste Verletzungsgefahr besteht.
Das könnten auch Sie erledigen.
Es geht ja nicht nur um den praktischen Nutzen, sondern auch um den psychologischen Effekt. Christian ist durch Keck eigenständiger, weil er nicht ständig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist und ein Lebewesen an seiner Seite hat, für das er die Verantwortung trägt. Das tut seinem Selbstwertgefühl ungemein gut. Zumal Keck ja fast überall dabei ist: in der Musikschule, bei der Physiotherapie, beim Zahnarzt, ja selbst bei einem stationären Klinikaufenthalt durfte er Christian besuchen und sich eine Weile zu ihm ins Bett legen.
Braucht nicht jeder Hund auch mal seine Ruhe?
Erstens besucht Christian ja eine Ganztagsschule, das bedeutet, dass Keck unter der Woche genügend Zeit zum Entspannen hat. Zweitens macht dem Hund alles Spaß, was Christian mit ihm unternimmt – anders würde das gar nicht funktionieren. Keck hat ein abwechslungsreiches Leben. Und wie alle Vita-Teams haben er und Christian eine Lieblingsbeschäftigung: das Dummy-Training. Statt der Jagdbeute apportieren die Hunde einen kleinen, mit Sand gefüllten Sack. Im Sommer trainieren die Teams am Baggersee, so kann Keck auch schwimmen, was ihm besonders Spaß macht. Klar ist, dass Keck für Christian nur dann eine Stütze sein kann, wenn es ihm gut geht.