Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Sie haben 1985 ein eigenes Busunternehmen gegründet. Warum sind Sie nicht im elterlichen Betrieb geblieben?
Weil mich mein Bruder nicht mehr dabeihaben wollte, nachdem unser Vater gestorben war. Mein Mann und ich kauften uns dann zwei Setra-Busse und machten alleine weiter – ich hatte ja nichts anderes gelernt. Wir haben unsere Reisen selbst organisiert und geleitet. Nach zweieinhalb Stunden Fahrt legten wir stets eine Pause ein, da gab’s dann für jeden Fahrgast eine Brezel und einen selbst gebrannten Schnaps. So sind sich die Leute nähergekommen.
Welche Ziele steuerten Sie am liebsten an?
Nach dem Fall der Mauer war ich viel und gerne in den neuen Bundesländern unterwegs. Diese Touren lohnten sich finanziell nicht so wie beispielsweise unsere Fahrten nach Österreich, aber ich habe mich persönlich sehr für das Erzgebirge, Usedom oder Rügen interessiert. Dafür habe ich in Kauf genommen, dass statt 60 auch mal nur 30 Gäste an Bord waren. Anfangs mussten wir viel improvisieren: Als ich 1990 zum ersten Mal in Dresden war, gab es in der Stadt weder ein Lokal noch ein Hotel, in das wir einkehren konnten. Ich bin mit der Gruppe zum Mittagessen zu einem Bekannten nach Chemnitz gefahren, der uns in seinem Wohnzimmer bewirtet hat. Übernachtet haben wir in einem Gasthaus im Fränkischen Wald.
Sie haben einen Sohn. Wer hat sich um ihn gekümmert, wenn Sie ständig auf Achse waren?
Mein jüngster Bruder und mein Sohn lagen nur sechs Jahre auseinander, sie haben sich wunderbar verstanden. Leider ist mein Bruder mit 17 bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Mein Sohn war anschließend weitgehend auf sich alleine gestellt, das war aber kein Problem: Er war ein selbstständiges Kind.
Warum hat er Ihre Firma nicht übernommen?
Jürgen wollte nicht, weil er wusste, dass das ein Sieben-Tage-Job ist – und zwar nicht nur für ihn, sondern auch für seine künftige Frau. Weil mein Mann und ich keinen Nachfolger hatten, haben wir das Geschäft 1996 verkauft. Anschließend bin ich noch 14 Jahre für eine befreundete Unternehmerin in Bad Urach gefahren. Mit 70 habe ich meinen Omnibusführerschein freiwillig abgegeben. Alles hat seine Zeit.
Hatten Sie das Gefühl, dass Sie im Alter schlechter fahren, das Reaktionsvermögen nachlässt?
Nein. Aber vielleicht haben das manche Leute gedacht, weil ja heutzutage alles auf Jugend getrimmt ist. Mit Ende 60 machte ich eine Tour nach Verona, da fragte mich ein Fahrgast: „Können Sie die lange Strecke überhaupt bewältigen?“ Ich antwortete: „Glauben Sie, man würde mir einen mehrere Hunderttausend Euro teuren Bus anvertrauen, wenn man befürchten würde, ich könnte unterwegs schlappmachen?“ Ich habe bis zuletzt die Koffer eigenhändig verstaut, wenn mir jemand helfen wollte, stellte ich klar: „Das Beladen gehört zu meinem Job, dafür werde ich bezahlt.“
Die Technik ist in Ihren 47 Berufsjahren enorm fortgeschritten. Wie hat sich das ausgewirkt?
Zu meiner Zeit gab es keine Navigationsgeräte, ich musste jedes Ziel selbst finden. Vor der Fahrt habe ich die Karte angeschaut und mir ein paar Stichwörter aufgeschrieben. Das hat immer genügt, um an den richtigen Ort zu kommen. Als ich kürzlich mit meiner Mercedes-A-Klasse in Urlaub gefahren bin, hat mir mein Sohn sein Navi geliehen. Ich wollte mal sehen, wie das funktioniert, habe aber schnell gemerkt, dass ich lieber mir selbst als diesem Ding vertraue.
Was halten Sie von Assistenzsystemen?
Nichts. Sehen Sie: das Ziel eines guten Busfahrers ist, konstant Tempo hundert zu fahren. Bevor ich überhole, fahre ich auf der rechten Spur möglichst nah an den Lkw vor mir heran und schere erst dann aus, dadurch blockiere ich die linke Spur nur für einen kurzen Moment. Die elektronischen Abstandsregelungen bremsen einen aber aus, wenn man zu dicht auf den Vordermann auffährt. Man wird bevormundet. Und durch die neuen Speicherkarten im Cockpit kann man jemandem jahrelang nachweisen, wenn er mal mehr als 30 Sekunden am Stück zu schnell unterwegs war. Ganz zu schweigen von den strengen Kontrollen der Arbeitszeiten.
Wie lange waren Sie früher auf Achse?
In den Anfängen stand ich um vier Uhr auf und habe die Daimler-Leute zur Frühschicht gebracht. Anschließend fuhr ich eine Ausflugsgesellschaft irgendwo hin, und abends um zehn bin ich wieder nach Sindelfingen, um Arbeiter von der Spätschicht abzuholen. An manchen Tagen war ich 20 Stunden am Stück im Einsatz. Jede freie Minute habe ich für ein kurzes Nickerchen genutzt. Mir hat der harte Arbeitsalltag nichts ausgemacht, ich war ja jung.