Bürgersprechstunde, Folge 33: Die Chinesin Qing Yao erzählt, wie sie in ihrer Wahlheimat Renningen beharrlich für ihr Glück kämpft.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Renningen - Als Qing Yao vor sechs Jahren der Liebe wegen von China nach Deutschland auswanderte, glaubte sie, dass man es hier mit Bildung, Fleiß und Anstand weit bringen kann. Es kam anders. Ihre Ehe scheiterte, und sie fand keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Nun lebt sie mit ihren beiden Töchtern in einer Drei-Zimmer- Wohnung in Renningen. Die 46-Jährige möchte erzählen, wie schwierig es für sie ist, einen Platz in der Gesellschaft zu finden.

 
Frau Yao, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich stamme aus Qingdao in der Provinz Shandong, wo ich in einem offenen, fortschrittlichen Elternhaus aufwuchs. Ich war immer eine gute Schülerin. Nach dem Gymnasium studierte ich Textiles Ingenieurwesen und arbeitete nach dem Bachelor einige Jahre in der Modebranche. Anschließend war ich für verschiedene Pharmakonzerne im Vertrieb tätig. 1998 heiratete ich, ein Jahr später kam meine Tochter Enqi zur Welt. Mein Mann war arbeitsscheu und trug fast nichts zum Lebensunterhalt bei. Ich ließ mich scheiden und begann 2004 ein Wirtschafts-Masterstudium. Damals meldete ich mich in einem Internet-Chat an, ursprünglich, um mein Englisch zu verbessern. So lernte ich einen Schwaben kennen. Nachdem er mehrere Male zu mir nach China gekommen war, heirateten wir. Im November 2009 zog ich auf seinen Wunsch hin von meiner Heimatstadt Qingdao in sein Heimatdorf nahe Calw. Im Jahr darauf holte ich Enqi nach, die in der Zwischenzeit bei ihren Großeltern in China untergebracht war. Ich träumte von einem harmonischen Familienleben, doch ich wurde enttäuscht.
Was ist passiert?
Im Nachhinein war es ein Fehler, dass ich mich auf einen Mann eingelassen habe, dessen Familie ich nicht kannte. Im Oktober 2011 kam unsere Tochter Christina zur Welt. Damals waren wir noch glücklich, doch nach kurzer Zeit begann unsere Ehe zu kriseln. Das größte Problem war, dass mich die Familie meines Mannes nicht akzeptierte. Das führte zu einem Dauerkonflikt. Vor einem Jahr verlangte mein Mann die Scheidung, das Sorgerecht für Christina teilen wir uns. Die gesamte Situation ist für mich belastend, weil das Leben, das ich nun führe, überhaupt nicht meinem Naturell entspricht.
Was fehlt Ihnen denn zum Glück?
Vor allem ein Arbeitsplatz. Ich bekomme Hartz IV, und dafür schäme ich mich. Wäre ich in China weiterhin als Pharmareferentin tätig gewesen, hätte ich heute ein gutes Einkommen. In meiner Heimat waren für mich Zwölf-Stunden-Arbeitstage die Regel, Urlaub nahm ich als Alleinverdienerin nicht – aber das war für mich nie ein Problem. Eine Woche bevor meine Tochter Enqi zur Welt kam, habe ich noch gearbeitet, zwei Monate nach der Entbindung bin ich voll ins Berufsleben zurückgekehrt. Opa und Oma betreuten meine Tochter.
Sie wollen damit sagen, dass Sie sehr fleißig sind.
Ich habe zwar einen chinesischen Pass, aber von meiner Mentalität her wäre ich eine perfekte Schwäbin. „Schaffa, schaffa, Häusle baue“ könnte mein Motto sein. Ich will in Deutschland Geld verdienen und Steuern zahlen. Doch auf mehr als 200 Bewerbungen, die ich bisher geschrieben habe, bekam ich nur Absagen.
Offenbar zweifeln die Chefs an Ihrer Eignung.
Ja, aber warum bloß? Seit ich in Deutschland angekommen bin, versuche ich alles, um mich für den hiesigen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Am 6. November 2009 landete ich im Dorf meines Mannes, am 7. November besuchte ich bereits den ersten Sprachkurs für Migranten. Ich bin dafür mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Stuttgart gefahren, anderthalb Stunden hin, anderthalb Stunden zurück. Sie merken, dass mein Deutsch mittlerweile so gut ist, dass ich mit Ihnen über jedes Thema sprechen kann. Und glauben Sie mir: Ihre Sprache ist für uns Chinesen extrem schwer zu erlernen. Außerdem bilde ich mich seit der Trennung von meinem Mann weiter. Ich habe zunächst bei der IHK den Kurs „Grundlagen und Aufbau der Buchführung“ absolviert und im März einen Abschluss als Fachkraft Buchhaltung der Deutschen Angestellten-Akademie gemacht.
Gibt es Hinweise darauf, warum Sie niemand anstellen will?
Von den Firmen heißt es stets: „Ihnen fehlt praktische Erfahrung.“ Aber wie soll ich die sammeln, wenn mir niemand eine Chance gibt? Ich weiß, dass ich mein Deutsch weiterhin verbessern muss. Ich versuche das, bemühe mich nach Kräften.
Ihr Alter könnte bei Stellenbesetzungen auch eine Rolle spielen, Sie sind bereits 46.
Erstens bin ich im Herzen viel jünger, zweitens kann ich noch 20 Jahre im Beruf Vollgas geben. Ich bin vielleicht motivierter als mancher junge Mensch, weil ich nicht nur für mich, sondern auch für meine beiden Töchter gut sorgen möchte. Es gibt viele schwäbische Unternehmen, die mit China Geschäfte machen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es für mich, die beide Sprachen spricht und einen Master in Business Administration besitzt, keine Verwendung gibt. Das Problem ist, dass in Deutschland mein Abschluss von der Northumbria University nicht anerkannt wird. Sogar mein chinesischer Führerschein war hier ungültig, ich musste einen deutschen machen.