Reportage: Akiko Lachenmann (alm)
Beschreiben Sie bitte, was nach dem Aufwachen in Ihrem Kopf vorging.
Ich war zwar wieder bei Sinnen, konnte aber die Geschehnisse nicht einordnen. Ich schimpfte zum Beispiel mit den Ärzten, die meine Reflexe testen mussten. Ich dachte: Was machen diese Leute andauernd an meinen Füßen herum, können die mich nicht in Ruhe lassen? Erst als man mir Tage später den Kopfverband abnahm und ich den abrasierten Schädel mit der langen Narbe erblickte, ahnte ich, dass mit mir etwas Schlimmes geschehen war. Wobei auch in diesem Moment mein erster Gedanke war: Wenn man mich schon da oben aufschneidet, wieso hat man nicht auch gleich mein Doppelkinn wegoperiert? Es vergingen Monate, bis ich vollständig begriff, was sich zugetragen hatte.
Sie wirken ganz normal, so, als sei Ihr Gehirn nie in Mitleidenschaft gezogen worden.
Dass ich so zügig auf Fragen antworten kann, gelingt mir erst wieder seit zwei, drei Jahren. In den ersten Jahren nach der Gehirnblutung war mein Denken verlangsamt. Ich antwortete zeitverzögert, verlor den Faden, beherrschte nicht mehr den Smalltalk, war auch zu meinem charakteristischen Wortwitz nicht mehr in der Lage. Trotzdem versuchte ich, wieder zu arbeiten. Bei Präsentationen war ich manchmal nicht mehr in der Lage, die Tabellen zu erläutern. Nach Meetings deuteten die Kollegen an, dass ich nicht mehr die Frau Gutbrod von früher sei. Als dann eine Kundin sagte, ich hätte ja früher so viel geredet, heute sei ich „schön ruhig“, da sah ich ein, dass ich diese Arbeit nicht mehr machen sollte.
Sie arbeiteten anschließend noch eine Weile als freie Headhunterin von zu Hause aus.
Ja, das hatte den Vorteil, dass ich selbst entscheiden konnte, wann ich zum Hörer greife. Ich kann mich schon eine Zeit lang konzentrieren, damals maximal 15 Minuten, heute immerhin eine volle Stunde. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich arbeite, mit einer Freundin telefoniere oder ein Buch lese. Meine Konzentration ist zeitlich befristet, danach beginnt das Denken wehzutun, und ich benötige eine Pause, um den Akku wieder aufzuladen. Das gelingt immer am besten vor dem Fernseher, bei TV-Serien ohne Tiefgang oder bei Kochsendungen.
Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie beeinträchtigt waren?
Anfangs zeigten meine Freunde Verständnis dafür, dass ich bei Feiern früher gehe, keine spontanen Besuche mehr empfange und nur noch allein auf Einkaufstour gehe. Doch als sich nach einer Weile abzeichnete, dass ich nie mehr ganz die Alte sein werde, nicht mehr so lustig und selbstsicher, wie ich einst war, haben sich einige Freunde von mir abgewandt. Darunter meine beste Freundin. Für sie war ich früher die starke, lebenslustige Frau, die ihr die Welt zeigt – ich hatte sie häufiger auf Reisen mitgenommen. Diese Frau fand sie nicht mehr in mir.
Und wie ging Ihr Mann damit um?
Er stand mir in all den Jahren immer beiseite. Natürlich hat er sich auch gewünscht, dass ich wieder zu meiner alten Form zurückfinde. Das konnte er nicht ganz verbergen. Aber er hat sich prima mit der Situation arrangieren können. Heute ist er derjenige, der den Smalltalk übernimmt, wenn wir Gäste haben oder zu Besuch sind. Dabei ist er – ein schwäbischer Ingenieur – von Natur aus eher ruhig. Sind wir unterwegs, weicht er nicht von meiner Seite. Er nennt sich „das laufende Geländer“ – bis heute brauche ich Hilfe beim Treppensteigen. Ich bin wirklich froh über seine Fürsorge. Man weiß ja vorher nicht, wie sich der Partner in Grenzsituationen verhält, zumal früher immer ich die Taffe war.