Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Wie verbringen Sie die übrigen Stunden?
Ich kann nicht fernsehgucken oder an einem Computer arbeiten. Auch Lesen ist nur noch begrenzt möglich, Bücher gehen gar nicht, die Tageszeitung ist für mich nur in kleinen Dosen verträglich. Aber Schreiben funktioniert noch. Ich habe zwar eine Sauklaue, aber ich denke: die Leute kriegen lieber einen Brief, den sie entziffern müssen, als keinen.
Wer sind die Adressaten?
Alle, die Probleme haben und mir sympathisch sind: Leute im Ort, ehemalige Schulkameraden, Bekannte in ganz Deutschland – bei meinen vielen Krankenhausaufenthalten habe ich ja unzählige liebenswürdige Menschen kennengelernt. Ich korrespondiere auch mit Prominenten: Frau Schäuble habe ich nach dem Anschlag auf ihren Mann Wolfgang erstmals geschrieben, Frau Enke, nachdem sich ihr Mann Robert, der Torwart von Hannover 96, umgebracht hatte. Die wundervollen Antwortschreiben bewahre ich in einem Ordner auf.
Ist der Antrieb für Ihr Tun – im wahrsten Sinne des Wortes – Mitgefühl?
Bestimmt. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie man mit Schicksalsschlägen am besten umgeht: Man sollte nicht blind dem Rat von außen folgen, sondern lieber darauf hören, was einem die innere Stimme zuflüstert. Davon bin ich überzeugt, seit 1979 in meiner Leber drei faustgroße Tumore entdeckt worden sind. Man schickte mich daraufhin nach Hannover in die Klinik der Medizinischen Hochschule, wo ich für eine Transplantation vorgesehen war. Kurz vor der Operation habe ich mich gegen den Eingriff entschieden, weil mir meine damals 14-jährige Tochter geschrieben hatte: „Mama, bitte komm schnell heim, ich brauche dich so sehr.“ Die Mediziner prophezeiten mir, dass ich nur noch ein halbes Jahr zu leben hätte, wenn ich keine neue Leber bekäme. Das ist 36 Jahre her – wie Sie sehen, bin ich noch immer nicht gestorben.
Glauben Sie, dass die Ärzte eine Fehldiagnose gestellt hatten?
Jedenfalls können meine Tumore nicht bösartig sein. Manchmal ist es besser, ein körperliches Leiden zu akzeptieren, als sich operieren zu lassen. Irgendwann müssen wir eh alle gehen.
Welche Einschränkungen machen Ihnen am meisten zu schaffen?
Ich würde sehr gerne mehr lesen, aber das geht halt nicht. Ich kann auch nicht liegen, weil sich dann ebenfalls alles dreht.
Wie können Sie dann schlafen?
Ich schlafe seit Ewigkeiten nicht mehr. Obwohl ich seinerzeit selbst schon stark beeinträchtigt war, habe ich von 1969 bis 1988 meine schwerkranke Mutter hier im Haus gepflegt. Sie hatte eine Trachealkanüle, die ich nachts drei Mal wechseln musste, weil sie sonst erstickt wäre. Damals habe ich mir das Schlafen abgewöhnt.
Jeder Mensch muss schlafen!
Ich bin der lebende Beweis, dass sich die Wissenschaftler in diesem Punkt irren. Ich döse maximal eine Stunde pro Nacht, meine Schmerzen halten mich wach. Das ist nicht schlimm, ich habe mich längst daran gewöhnt. Die österreichische Schriftstellerin Marie Ebner von Eschenbach hat einmal gesagt: „Wenn man das Dasein als eine Aufgabe betrachtet, vermag man es immer zu ertragen.“