Ein Mann muss die Heimkosten für seinen Vater zahlen, der den Kontakt zu ihm längst abgebrochen hat. Dieses BGH-Urteil zeigt: der Streit zwischen Jung und Alt steht ganz am Anfang.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Eine Bemerkung vorab: es gibt eine ganze Menge Kulturen auf dieser Welt, die ziemlich ungläubig nach Karlsruhe blicken würden, wenn sie denn nur wüssten, über was das höchste deutsche Zivilgericht gerade entschieden hat. Weniger der Beschluss des Bundesgerichtshofes, dass Kinder auch dann Unterhalt für ihre Eltern zahlen müssen, wenn diese den Nachwuchs zuvor verstoßen haben, würde Stirnrunzeln hervorrufen. Es wäre vielmehr die Tatsache an sich, dass Eltern und Kinder vor Gericht darüber streiten, ob der eine für den anderen zu sorgen hat. Ja wer denn sonst, wenn nicht das eigene Fleisch und Blut? Das ist in weiten Teilen der Welt überhaupt keine Frage. In Asien, in Afrika, in Gegenden also, denen der aufgeklärte Westen ganz gerne Ratschläge gibt, wie denn mit menschlichen Werten im allgemeinen so umzugehen sei.

 

Menschen mittleren Alters stehen vor besonderen Problemen

Es ist dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet, dass vieles, was früher einmal selbstverständlich war, heute mit anderen Augen gesehen wird. Man kann das beklagen, es hilft aber nichts, den Blick vor den Realitäten zu verschließen. Die Zeiten, als die Großfamilie vom Enkel bis zur Urgroßmutter im gleichen Dorf zu Hause waren, sind vorbei. Nicht zuletzt der Staat fordert von seinen Bürgern im arbeitsfähigen Alter nahezu uneingeschränkte Mobilität. Was der Familienverband an Betreuung dann nicht mehr auffangen kann, müssen andere leisten – und das kostet Geld.

Menschen mittleren Alters stehen dabei heute vor einem besonderen Problem. Neben dem, was sie zum Leben brauchen, müssten sie – mindestens – drei Sparbüchsen extra befüllen. Eine für die Ausbildung der eigenen Kinder, eine für die persönliche Altersvorsorge und noch eine, um den Eltern auch dann noch ein Leben ohne Armut und in Würde zu ermöglichen, wenn diese professionelle Betreuung im größeren Umfang benötigen. Das überfordert den Durchschnittsverdiener bei weitem, und nicht nur den. Und das wird dazu führen, dass das Thema der Generationengerechtigkeit in den kommenden Jahren noch sehr viel stärker als bisher die Diskussionen bestimmen wird. Die jüngst beschlossene Rentenreform der großen Koalition in Berlin und der aktuelle Beschluss zur Unterhaltspflicht in Karlsruhe waren da erst der Anfang.

Rechtsprechung ohne Lebensnähe

Ein schlechter Anfang. So falsch es ist, die Mütterrente aus Beiträgen zu finanzieren, so wenig wird die Karlsruher Entscheidung auf Verständnis stoßen. Der Grundsatz, dass Kinder für ihre Eltern haften, stand dabei gar nicht zur Disposition. Es ging um einen Einzelfall einer ganz besonders zerrütteten Familie. Dass vier Jahrzehnte fehlender Kontakt, vom Vater mutwillig herbeigeführt, gleichwohl noch eine Einstandspflicht begründen, mag die Hüter der öffentlichen Kassen freuen, die sonst für die Kosten des Heimaufenthaltes hätten aufkommen müssen. Lebensnah ist diese Rechtsprechung nicht. Das ist ärgerlich, denn so wird der Blick auf die geltenden Regeln bei den Unterhaltsansprüchen verstellt, die sehr viel vernünftiger und abgewogener daherkommen als die Entscheidung der Bundesrichter. Es lohnt sich, in diesem emotionalen Thema eines klar festzustellen: der so genannte kleine Mann ist von Unterhaltszahlungen gegenüber seinen Eltern so gut wie nie betroffen. Wer als Verheirateter weniger als 2900 Euro im Monat nach Hause bringt, ist außen vor.

Es ist die klamme öffentliche Hand, die in Zukunft noch mehr Entscheidungen dieser Art erzwingen wird. Der Staat ist zwar bereit, den Ruhestand der Bundestagsabgeordneten abzusichern, auch wenn die zuvor in keine Kasse einbezahlt haben. Er wird aber immer häufiger versuchen, sich von Pflegekosten zu befreien. Und denkbar ist noch ganz anderes. Im Augenblick nimmt der Staat bei vielen Hartz IV-Leistungen keinen Rückgriff auf Verwandte in direkter Linie. Das muss nicht so bleiben.