Zerklüftete, unverständliche Paragrafen: das BKA-Gesetz ist schlecht formuliert. Aber verstößt es auch gegen die Verfassung? Das prüft nun das Bundesverfassungsgericht – und die Richter haben ihre Zweifel.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es gehört zu den Privilegien der Bundesverfassungsrichter, nicht nur Fragen stellen zu dürfen, sondern auch dann Antworten zu bekommen, wenn die Befragten nicht zu den auskunftsfreudigsten Stellen im Lande zählen. Es war die Richterin Gabriele Britz, der aufgefallen war, dass Innenminister Thomas de Maiziere bei der Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit des BKA-Gesetzes von gerade einmal 15 Gefahrenlagen gesprochen hatte, auf die das Anti-Terrorgesetz seit Anfang 2009 Anwendung gefunden hat.

 

Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamtes sprach von 700 nach Syrien gereisten Islamisten, von denen ein Drittel nach Deutschland zurückgekehrt sei. Was mit diesen Menschen denn geschehe, wollte Britz wissen und erfuhr, dass diese zwar als „Gefährder“ bezeichnet werden, der Begriff aber nur der „polizeilichen Koordination diene“ und nicht zwingend mit weiteren Maßnahmen verbunden sei. In der politischen Diskussion klingt das manchmal anders.

„Komplexe und zerklüftete“ Paragrafen

Bei der Verhandlung gehe es um die Frage, wie viel Datenschatz der Verfassungsstaat den Ermittlungsbehörden zugestehen und welchen Datenschutz er für seine Bürger sichern müsse, sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof. Vor sechs Jahren bekam das Bundeskriminalamt weitreichende Befugnisse, um effektiver gegen mutmaßliche Terroristen vorgehen zu können. Seitdem dürfen Beamte Wohnungen verwanzen, dort heimlich Filmaufnahmen machen, Gespräche abhören und mit Hilfe von Trojanern auf Computerfestplatten von Verdächtigen zugreifen. „Das Gesetz ist außerordentlich schlecht“, sagt Burkhard Hirsch, der als Anwalt die Beschwerdeführer vertritt und in den 70er Jahren Innenminister in Nordrhein-Westfalen war. „Das Gesetz schützt die Bürger vor internationalem Terrorismus und setzt die hohen Vorgaben des Gerichtes um“, entgegnet der amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. Unterschiedlicher können die Ansichten kaum sein.

Einigkeit besteht lediglich darin, das das Paragrafenwerk nicht gerade benutzerfreundlich formuliert ist. Dass sich Gesetze in Unterpunkte aufteilen, die mit Buchstaben durchbuchstabiert werden, ist nicht ungewöhnlich. Dass, wie im Fall des Paragrafen 20, fast das gesamte Alphabet herhalten muss, das kommt weniger häufig vor. Zudem sind die Paragrafen 20a bis 20x „komplex und zerklüftet“, so der Senatsvorsitzende Kirchhof. „Unzureichend“, nennt es Burkhard Hirsch. Christoph Möllers, der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung, kam nicht umhin, „unglückliche Formulierungen“ einzuräumen. Die seien jedoch im Willen erfolgt, die Vorgaben und die „nicht immer einfache Rechtsprechung“ aus Karlsruhe umzusetzen. Freunde wird sich Möllers, der an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht inne hat, mit der Äußerung nicht gemacht haben.

Die Richter sind skeptisch

Zumal die Richterbank an vielen Stellen der Verhandlung deutlich machte, dass sie mit zahlreichen Formulierungen des Gesetzes ihre Probleme hat. Es sei schon eine „kühne Behauptung“, sich an die Karlsruher Rechtsprechung anzulehnen und gleichzeitig Formulierungen zu verwenden, „die wir in der Vergangenheit für nichtig erklärt haben“, sagte Johannes Masing, der als Berichterstatter in diesem Verfahren ganz besonders tief in die Materie eingetaucht ist. Er blieb mit seiner Skepsis nicht allein. Praktisch jeder der acht Richter meldete sich zu Wort. Die Untertöne der Fragen lassen vermuten, dass der Gesetzgeber die Regeln zumindest in weiten Teilen überarbeiten muss.

Bis in den Abend hinein ließen sich die Richter erklären, wie der Gesetzgeber in den verschiedenen Situationen Begriffe wie „Gefahr“ und „Tatsachen“ unterschiedlich interpretiert und welche Feinheiten bei der akustischen wie optischen Wohnraumüberwachung auf der technischen Seite zu bedenken sind. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.