Monatelang jagen Ermittler eine Bande, die vermutlich in fast 20 Firmen eingebrochen ist. Protokoll von einer schwierigen Suche nach Buntmetalldieben.

Region: Verena Mayer (ena)

Villingen-Schwenningen - Diese Geschichte sollte gut ausgehen, ein Ende haben, das die Kommissare zufrieden macht. Diebe gefasst, Beute sichergestellt, Fall gelöst. So in der Art. Lange sah es so aus, als könnte das klappen. Hat es dann aber doch nicht. An einem Donnerstagmorgen im November ist es klar.

 

In jener Nacht hat es einen Einbruch gegeben. Bei einer Firma in Villingen-Schwenningen. Die Diebe stehlen Kupfer, Aluminium, Messing und Stahl im Wert von mindestens 100 000 Euro. Schon seit Juli suchen die Polizisten nach den Buntmetalldieben. Wenn ihr Plan aufgegangen wäre, hätten die Ermittler den Tätern in Villingen-Schwenningen aufgelauert und sie dann verhaftet. Doch daraus wird nichts. Von dem Überfall erfahren die Polizisten erst, als er vorüber ist. Viel schlimmer hätte dieser Tag im Tuttlinger Polizeipräsidium also nicht beginnen können.

Vier Monate Arbeit ohne Happy End. Fast 20 Taten, aber keine verhafteten Täter. Eine gute halbe Million Euro Schaden, aber keine Strafe. „Das ist sehr unbefriedigend“, sagt Jürgen Liebermann, der zur extra gegründeten Ermittlungsgruppe Messing gehört.

Die Spuren passen zu keinem registrierten Verbrecher

Das erste Mal schlagen die Täter am ersten Juliwochenende zu. Der Tatort befindet sich in einem Industriegebiet nahe der Bundesstraße 33 in Villingen-Schwenningen. Die Firma, die die Diebe ausgewählt haben, produziert Schrauben und Bolzen, Buchsen und Gewinderinge. Die Täter brechen die Kunststofffenster auf, klettern in das Betriebsgebäude, knacken von innen das Schiebetor und schaffen – mit dem firmeneigenen Gabelstapler – fast sechs Tonnen schwere Messingstangen nach draußen in den Hof, wo sie auch noch einen Container mit Messingspänen entdecken und ausräumen. Dann verladen sie die Beute auf mehrere Kastenwagen und fahren davon. Als ihr Einbruch am Montagmorgen entdeckt wird, sind die Diebe längst über alle Schwarzwaldhügel.

Die Polizei findet auf dem Gelände Schuhabdrücke, die nicht von den Mitarbeitern stammen. Aber in ihrer Datenbank landen die Ermittler keinen Treffer. Die Spuren passen zu keinem registrierten Verbrecher. Vor dem inneren Auge des Kriminalhauptkommissars Jürgen Liebermann blinkt an diesem Sommermorgen eine Alarmlampe: Schwere Beute, dünne Spuren – da wird doch keine Bande am Werk sein?

In der folgenden Nacht schlagen die Diebe zum zweiten Mal zu. Aus einer Firma in Dornhan stehlen sie zwei Tonnen Hartmetallzähne, die darauf warten, zahnlose Kettensägen zu bestücken. Mit einem firmeneigenen Palettenheber karren die Täter ihre Beute vom gestürmten Lager in den Hof, von wo sie die Gitterkörbe auf mehrere Kastenwagen verteilen und unerkannt davonfahren.

Das Werk von Profis

Jetzt ist Jürgen Liebermann sicher: Hier sind Profis am Werk. Diese Mengen schaffen keine Kleinkriminellen beiseite, diese Logistik meistern keine Anfänger. Noch vor dem dritten Einbruch zwei Tage später in Duningen wird die Ermittlungsgruppe Messing gegründet und Jürgen Liebermann eines der Mitglieder.

Das Geschäft mit Buntmetall ist lukrativ, seit die Rohstoffpreise in Höhen geklettert sind, in denen nicht nur Händlern schwindelig wird. Zur höchsten Zeit im Februar 2011 kostet eine Tonne Kupfer mehr als 10 000 Dollar. Das ist das Jahr, in dem auf der Bahnstrecke zwischen Magdeburg und Braunschweig drei Stunden lang gar nichts geht, weil Unbekannte die kupfernen Erdungskabel an der Strecke abmontiert haben. Und das Jahr, in dem die bronzenen Claqueure vor dem Backnanger Rathaus gestohlenen werden. Auch Legierungen wie Bronze und Messing sind in solchen Zeiten wertvoll.

Die bronzene Eva auf der Stuttgarter Uhlandshöhe wird im Sommer 2012 ein Opfer von Metalldieben. Das Umspannwerk der EnBW in Bad Cannstatt bekommt Anfang dieses Jahres binnen drei Wochen dreimal Besuch von Einbrechern, die mehr als 1500 Kilo Kupferteile mitnehmen. Und davor, dazwischen und danach verschwinden auf Friedhöfen im ganzen Land Grabkreuze und auf Baustellen Kabelrollen. In Straßen fehlen plötzlich Gullydeckel und an Häusern Regenrinnen. Metalldiebstahl lohnt sich auch, wenn der Kupferpreis pro Tonne nicht mehr ganz so exorbitant hoch ist, aktuell liegt er bei rund 7000 Dollar. Allein in Baden-Württemberg haben die Diebe im vergangenen Jahr einen Schaden von mehr als 13 Millionen Euro verursacht.

Die Fälle häufen sich

Das Puzzle, an dem die Ermittler in Tuttlingen basteln, ergibt kein ansehnliches Bild. Es wird nur noch größer. Kommt Jürgen Liebermann morgens ins Büro, liegt da oft schon ein neues Teil. Manchmal sind es sogar drei.

In der Nacht auf den 15. Juli stehlen die Diebe aus einer Firma in Deißlingen tonnenweise Rohkupfer, kiloweise Kupferelektroden und meterweise Messingdraht. Aus dem Unternehmen nebenan nehmen sie gleich danach noch Kupferstangen und Messing mit.

In der Nacht zuvor verschwinden aus einer Fabrik in Hornberg sechs Tonnen Messingrohlinge. Die Überwachungskameras vor dem Gebäude und im Inneren stören die Einbrecher nicht. Sie drehen sie einfach zur Seite und erledigen ihre Arbeit wie immer: Einstieg durchs Fenster, Transport der Ware vom Lager in den Hof, Verladung in den Kastenwagen, Flucht.

Und in der Nacht vor dieser Nacht holen die Unbekannten aus einem Unternehmen in Hardt 300 Kilo Elektrolytkupfer. Normalerweise stehen die Arbeiter dort die ganze Nacht an den Maschinen, die Seifenspender oder Kleberoller fürs Büro ausspucken. Doch an diesem Tag Mitte Juli fällt eine Schicht wegen einer Firmenfeier aus. Woher wussten die Täter das? War es Zufall? Oder hatten sie einen Angestellten als Komplizen? Und wenn ja: warum? „Ich bin sehr gespannt, was da rauskommt“, denkt sich Jürgen Liebermann damals und puzzelt weiter.

Eine heiße Spur

Die Ermittlungsgruppe Messing mutmaßt, dass die Diebe aus Rumänien stammen. Von Kollegen aus anderen Städten und Bundesländern wissen die Polizisten, dass hinter den organisierten Buntmetallraubzügen in der Regel Profis aus Südosteuropa stecken. Ihre Arbeit erledigen sie klar strukturiert: Ein „Brigadeführer“ übergibt einem „Vorarbeiter“ Adressen mit potenziellen Zielen. Dieser wählt einen Fahrer aus, dazu die „Pfeile“, die auf das Öffnen von Toren und Gittern spezialisiert sind, sowie die „Toten“, die für das Schleppen der Stangen, Späne oder Spulen zuständig sind. Die Ermittler in Tuttlingen vermuten, dass auch sie es mit einer solchen Brigade zu tun haben. Nach acht Einbrüchen sind sie ziemlich sicher, dass an jedem davon fünf bis sieben Personen beteiligt waren, die getrennt an- und abreisten.

Das Gebiet, das die Ermittlungsgruppe bearbeitet, ist riesig. Zum Polizeipräsidium Tuttlingen gehören fünf Landkreise mit zusammen 154 Kommunen. Durch das Gelände schlängeln sich 1173 Kilometer Bundesstraße, 1774 Kilometer Landesstraße und 2515 Kilometer Kreisstraße. Wie soll man da Kupferdiebe finden? Alle Kastenwagen auf den Fahrbahnen abpassen – ausgeschlossen. Jede Nacht durch jedes Industriegebiet streifen – geht auch nicht. Und eine europaweit konzertierte Großaktion wie im vergangenen Mai ist auch nur ausnahmsweise möglich. An vier Großkampftagen in 19 EU-Staaten und neun Bundesländern haben in jenen vier Maitagen allein in Baden-Württemberg 470 Polizei- und Zollbeamte 920 Fahrzeuge, 1132 Insassen und 42 Schrotthändler kontrolliert – und dabei acht verdächtige Buntmetalldiebe aufgespürt, die zur Fahndung ausgeschrieben waren.

In Tuttlingen jedoch finden die Fahnder bis Ende Juli nichts, was ihr Bild schärfer macht. Es wächst nur immer weiter. Allein am ersten Augustwochenende zählen die Sonderermittler schon wieder vier neue Einbrüche.

Sind die Täter vorsichtig geworden?

Doch in der letzten Woche des Hochsommers glimmt Hoffnung auf. Die Polizisten stoßen auf eine warme Spur, die zu einer heißen werden könnte. Den Dieben, die am 25. August in eine Firma in Vöhrenbach eingestiegen sind, ist ein Fehler unterlaufen: Ihr weißer Kastenwagen, mit dem sie womöglich in Richtung Frankreich flüchten wollen, fällt in Freiburg einem Autofahrer auf, weil aus dem Radkasten Funken sprühen. Der verdutzte Mann alarmiert die Polizei. Als eine Streife den Kastenwagen entdeckt, rast der Fahrer davon. An einer Leitplanke endet die Verfolgungsjagd. Der Fahrer kann zwar entkommen, doch in seinem Wagen findet die Polizei Spuren, die sie weiterbringen. Endlich!

Was für Spuren das sind, verrät Jürgen Liebermann nicht. Auch nicht, was die Ermittler damit anfangen können. Doch er sagt: „Ich habe ein gutes Bauchgefühl.“ Das ist ein paar Tage nach dem Unfall mit dem funkensprühenden Kastenwagen. Es ist die Zeit, in der diese Geschichte ein gutes Ende zu nehmen scheint. Heute weiß der Kriminalhauptkommissar, sein Gefühl hat ihn getäuscht.

Die gesicherten Spuren führen die Ermittler nicht weiter. Die Täter können nicht abgepasst und schon gar nicht festgesetzt werden. Sie kommen einfach nicht wieder. Sind sie vorsichtig geworden? Ahnen sie, dass sie der Polizei in die Arme laufen könnten? Oder sind die Betriebe in der Gegend jetzt ausgeschlachtet?

Kein Happy End

Die Polizisten wissen es nicht. Bis zu jenem Donnerstag im November. Wie gesagt: viel schlimmer hätte der Tag im Tuttlinger Polizeipräsidium nicht beginnen können.

Und jetzt? Die Ermittlungsgruppe existiert weiterhin. Aber ihre Mitglieder kümmern sich wieder mehr um andere Delikte. Gibt es ja auch genug: Wohnungseinbrüche. Vermisste Senioren, Unfallfluchten. Brände. Auch einen Mordversuch gilt es zuklären.

Vielleicht kommt den Messingexperten der allseits beliebte Kollege Zufall zu Hilfe. Wie damals, vor einem Jahr, als eine Fahrzeugkontrolle zur Festnahme von sechs Männern führte, die mehr als 30 Tonnen Buntmetall gestohlen hatten. Im Juni dieses Jahres sind sie vom Landgericht in Rottweil wegen schweren Bandendiebstahls zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Aber ist das Ende dieser Geschichte so viel besser?

Nur ein paar Wochen nach dem Prozess gegen diese Serientäter, am ersten Juliwochenende, beginnt in Villingen-Schwenningen die Serie, die zur Gründung der Ermittlungsgruppe Messing führt.