Jährlich schickt Baden-Württemberg eine Delegation aus Kreativschaffenden zum größten Branchentreffen weltweit nach Cannes. Am Mittwochabend haben die Delegierten von ihren Erfahrungen und aktuellen Trends berichtet.
 

Stuttgart - Das Cannes Lions Festival of Creativity ist die wichtigste Veranstaltung der Werbe- und Kommunikationsindustrie – eine Art Oscarverleihung der Kreativbranche. Aus einem kleinen Festival, das im Anschluss an die Internationalen Filmfestspiele stattfindet, hat sich längst ein großes Networking-Event mit Seminaren und Vorträgen entwickelt. Jährlich kommen 12 000 Kreative aus der ganzen Welt an der Côte d’Azur zusammen.

 

Als einziges Bundesland Deutschlands schickt Baden-Württemberg seit vier Jahren eine Delegation aus Kreativschaffenden nach Cannes, die sich jedes Jahr bewerben, um Teil der sogenannten BW Lions zu sein. Die Aufgaben der schwäbischen Löwen: Netzwerke knüpfen, Trends der Kommunikationsbranche aufspüren, aber vor allem den Kreativstandort Baden-Württemberg promoten. „Das hat wirklich Vorbildcharakter und erhält bundesweit Anerkennung“, sagte Katja Garff, Cannes-Lions-Repräsentantin für Deutschland und Marketingleiterin bei Weischer.Media. Dieses Konzept möchte die in Baden-Württemberg geborene Kreativschaffende deshalb auch in ihrer Wahlheimat Hamburg vorantreiben.

Bericht im Hospitalhof

Garff war am Mittwochabend zu Gast auf der Bühne im Hospitalhof, wo die zehn Delegierten beim „Cannes Lions Report“ in Kurzvorträgen über ihre Erfahrungen, Eindrücke und die neuen Trends aus Cannes berichteten. Dabei sprachen die BW Lions von Veränderungen, aber auch von altbewährten Strategien.

„Die Branche hat die Hosen voll“, sagte Markus Müller, Geschäftsführer der Design- und Werbeagentur Cosmoto. Werbung befinde sich auf dem absteigenden Ast, das Geld fließe in Facebook und Google. Was nicht heiße, dass Werber Teil einer aussterbenden Spezies seien – nur das Anforderungsprofil ändere sich. Die Herausforderungen heute beginnen laut Müller bei der veränderten Aufmerksamkeitsspanne des Publikums. Genau acht Sekunden habe ein Werbeclip heute Zeit, die Emotionen, Sympathien und Kaufentscheidungen des Kunden zu beeinflussen. Das entspricht in etwa der Aufmerksamkeitsspanne von einem Goldfisch.

Der Werber müsse außerdem als „Change Manager“ ganze Firmen mitgestalten und mitentwickeln. „Firmen müssen sich in immer kürzeren Zeitspannen weiterentwickeln und neu erfinden“, sagte Müller. Diesen Prozess könnten Agenturen unterstützen. Auf das veränderte Medienverhalten ging Jens Kenserski von der Agentur Pulsmacher ein. „Keiner schaut heute mehr TV“, zitiert er Star-DJ David Guetta. Werbung müsse über andere Kanäle wie Youtube verbreitet werden. „Wir haben schon viele Krisen überstanden, also auch diese“, sagte Garff in ihrem kurzen Interview mit Moderatorin Annette Rueß von Baden-Württemberg International. Die von Land und Wirtschaftsverbänden getragene GmbH hat die Aufgabe, ausländische Märkte für heimische Unternehmen zu erschließen.

Stichwort Virtual Reality

Robin Wenk, Geschäftsführer von Lightshape, sieht in den Veränderungen ebenfalls nichts Negatives, sondern erkennt eine positive Aufbruchstimmung. Die Technologien entwickeln sich weiter, dazu gehören Virtual Reality, Big Data und Künstliche Intelligenz, die allesamt in den Kurzvorträgen an diesem Abend angesprochen wurden. Die eine wichtige Regel gilt noch immer, unabhängig von technischen Entwicklungen: die Idee zählt. Radikale Ideen, wie sie Markus Müller fordert, die Konventionen hinterfragen. „Wir dürfen keine Angst vor der Technik haben, am Ende zählt das Konzept – die Story ist am wichtigsten, sie muss inspirieren und die Emotionen des Kunden ansprechen“, sagte Jens Kenserski.

Zum Schluss kam Florian Haßler, Geschäftsführer von Studio Flox, zum größten Trend in der Branche zu sprechen: der Welt einen Stempel aufdrücken. Erfolgreich seien vor allem die Werbekampagnen, deren Ziel nicht allein der Verkauf von Produkte sondern die gute Absicht sei. Die französische Supermarktkette Intermarché etwa, hat ein Regal eingerichtet, in dem deformiertes Obst und Gemüse verkauft wird. Obst und Gemüse, das nicht der Norm entspricht und deshalb tonnenweise jährlich auf dem Müll landet. Begleitet von humorvollen Werbefilmen, war Intermarché schnell auf sämtlichen Kanälen präsent, das ungewöhnliche Obst und Gemüse ist längst Kult. „Wir prägen nicht nur die Kaufentscheidungen, sondern auch soziale Normen“, sagte Haßler. Diese Chance müsse genutzt werden. „Wir drücken der Welt unseren Stempel auf, lasst uns versuchen, dass das ein guter Stempel ist.“