Viele Bürger kommen angesichts des schwachen Rubels kaum noch zurecht. Wer noch Bares hat, gibt es lieber schnell aus.

Moskau - Rentnerin Raissa bückt sich tief, obwohl die Knie schmerzen. Ganz unten im Regal liegen die billigeren Graupen. Zwei Tüten – Inhalt je ein Kilo made in Russia – fliegen in den Einkaufswagen. Auch in der Teigwaren-Abteilung und beim Ölsortiment wählt sie, was aus der südrussischen Region Krasnodar kommt. Noch schnell eine Tüte Zucker, Tee, H-Milch , Kartoffeln. Dann ist der Wocheneinkauf beendet. Bevor die alte Dame zur Kasse geht, wirft sie einen traurigen Blick auf die Theke mit Delikatessen. „Die kann ich mir dieses Jahr wohl nicht einmal zu Neujahr leisten“, befürchtet sie.

 

Frau Raissa geht immer vormittags einkaufen. Dann gewährt der Supermarkt Trampolin an der Metrostation Molodjoschnaja in der Hauptstadt gemeldeten Rentnern zehn Prozent Preisnachlass. Darüber freuen sich vor allem solche wie Raissa, die mit der Mindestrente auskommen müssen. 5500 Rubel monatlich. Das ist wenig in Moskau, die Stadt zählt zu den teuersten Städten weltweit. Aber immerhin waren das umgerechnet 125 Euro, bevor Russlands Währung auf Talfahrt ging. Heute sind es nur noch 65 Euro. Und den Währungsverfall bekommen auch jene zu spüren, die nur heimische Waren kaufen. Denn die für die Verarbeitung nötigen Dinge müssen zum Großteil aus Euroland importiert werden. Die Stimmung an der Moskwa ist daher sie grau wie das Wetter, das sich nicht recht für Herbst oder Winter entscheiden kann. Denn nicht nur Rentner müssen den Gürtel enger schnallen. Akut von Armut bedroht sieht sich auch der Mittelstand. Statt Geschenke kauft Lehrerin Tatjana eine Illustrierte mit Rezepten für Salate aus der Sowjetzeit. „Die kann man leicht selber machen und die Zutaten kosten nicht viel.“   Wenigstens mit einer schönen Festtafel will sie ihre Lieben erfreuen. „Wer weiß, was uns das nächste Jahr bringt“. Nichts Gutes glaubt sie.

Mindestrente noch 65 Euro wert

In der Tat hat Wirtschaftsminister Alexei Uljukajew bereits mit harten Zeiten gedroht. Dabei sei genug Geld da, der Staat müsse es nur anders verteilen, glaubt Tatjana. „Wir haben die Olympischen Spiele ausgerichtet, wir sind Gastgeber für die Fußball-WM, wir geben der Krim und wir helfen unseren Brüdern und Schwestern in der Ukraine. Jetzt müsste die Regierung aber endlich auch mal an die Menschen in Russland denken.“ Die Worte „Putin“ und „Kreml“ fallen nicht. Aber dass sich jemand überhaupt in der Öffentlichkeit zu Kritik an Prestigeprojekten und Patriotismus hinreißen lässt, ist neu.  

Juristin Olga zieht gierig an ihrer Zigarette. Draußen vor ihrer Firma, drinnen ist der blaue Dunst verpönt. Die Zigarette, ein Becher mit Kaffee und eine Blätterteigtasche, gefüllt mit Kohl, sind das einzige, was sie in der Mittagspause zu sich nimmt. Zigaretten sind überhaupt ihr wichtigstes Nahrungsmittel, seit vor ein paar Tagen der Brief von der Bank kam. Denn die alleinerziehende Mutter eines zwölfjährigen Sohnes hat, um sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen zu können, einen Hypotheken-Kredit aufgenommen. „Im neuen Jahr“, sagt sie, „muss sich das Anderthalbfache der bisher fälligen monatlichen Rate zurückzahlen. Wie ich das machen soll, weiß ich nicht.“ Denn Olgas Gehalt steigt durch die Rubel Entwertung nicht. Und in ihrer Firma wird bereits gemunkelt, dass 2015 wegen der schlechten Auftragslage sogar die Prämien gestrichen werden. Olga greift ein weiteres Mal nach der Zigarettenschachtel und wirft einen bösen Blick auf das Werbeplakat, das Väterchen Frost mit einem Rentierschlitten voller Gaben zeigt. Mit dem neuen iPhone für Sohn Igor wird es nichts. Und auch die Urlaubsreise im nächsten Jahr ist fraglich:   „Es reicht nicht mal für Ferien auf der Krim, wenn man von der Hand in den Mund leben muss.“

So geht es nach jüngsten Umfragen staatsnaher Meinungsforscher inzwischen 48,5 Prozent. 34 Prozent glauben, der Rubel sei nicht mehr zu retten. Davon profitieren vor allem Händler langlebiger Haushaltstechnik wie Kühlschränken, Waschmaschinen und Fernsehgeräten. Das Lager, sagt ein Verkäufer, leere sich rapide. Der Nachschub werde, da es sich vor allem um Importe handle, „deutlich hochpreisiger“ sein. Der Run auf Wechselstuben und Banken hält sich dagegen in Grenzen. Schlaue, sagt ein Kunde und meint auch sich selbst, hätten ihre Rubelkonten längst abgeräumt und das Ersparte in harte Währung umgetauscht. Zwanzig Dollar habe er wieder in Rubel gewechselt und damit Wohnnebenkosten, Strom- und Telefonrechnung bezahlt. Zu normalen Zeiten hätte dafür nicht mal ein Hundert-Dollar-Schein gereicht.