Die Anschläge von Paris dürften die Angst vor dem Islam verstärken – auch in Deutschland. Doch die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Gruppen muss dennoch überwunden werden, meint der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - In Frankreich ist das Zusammenleben zwischen den Volksgruppen und ihren Religionen ein anderes als in Deutschland. In Frankreich ist die Geschichte der Zuwanderung eine andere als in Deutschland. Doch was nun in Frankreich geschehen ist, hätte so oder so ähnlich auch in Deutschland geschehen können – und an vielen anderen Orten Europas ebenso. Nirgendwo schützt ein friedliches Miteinander vor der Gewalt fanatischer Terroristen. Die Ereignisse von Paris sind dazu angetan, hierzulande die Ängste vor der zweitgrößten Weltreligion zu schüren. Diese Ängste waren zwar schon vorher da, doch durch das Massaker vom 7. Januar und die brutalen und blutigen Tage danach sind sie nun noch einmal verstärkt worden.

 

Es fällt schwer, bei so viel Grausamkeit einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch das ist notwendig. Und dann ist es ganz bestimmt nicht müßig, darüber zu diskutieren, inwieweit der Islam dafür verantwortlich ist, dass extremistische Wirrköpfe die Religion für Verbrechen missbrauchen. Informationen und Fakten sollten immer gesammelt werden, bevor man sich mit einem Thema auseinandersetzt. Es ist wichtig zu erkennen, dass Extremisten das Bild einer Religion prägen, der weltweit 1,7 Milliarden angehören, die in ihrer überwiegenden Mehrheit den Frieden lieben und Verbrechen wie in Paris verabscheuen. Dem Gefühl der Angst, das sich gegenüber dem Islam breitmacht, kann mit solchen Fakten alleine aber nicht begegnet werden.

Die Wirklichkeit entfacht wenig Sympathie

Die religionstheoretischen Erwägungen werden von den Wahrnehmungen des täglichen Lebens überlagert. Da erlebt der Durchschnittsbürger eine Minderheit, die sichtbar anders ist als er selbst. Und weil die Muslime eine vergleichsweise große Minderheit stellen, fällt ihr Anderssein sehr viel stärker auf als bei anderen Gruppen. Kopftuch, Schleier oder Burka gehören zu den augenfälligsten Unterschieden hierzulande. Dazu kommen Berichte aus dem Ausland. Von Frauen, die in dem einen Land nicht Auto fahren dürfen, und Mädchen, denen im anderen Land der Schulbesuch verwehrt wird. Von Steinigungen hier und Homophobie dort. Das alles ist in der Tat nicht gerade dazu angetan, Sympathie für den Islam zu entfachen.

Es gehört daher zu den wesentlichen Erkenntnissen einer großen Studie zum Thema Islamfeindlichkeit, dass sich Muslime hierzulande mehrheitlich als Teil einer demokratischen Gesellschaft fühlen – und in der Praxis immer stärker integrieren. Dieser Erfolg hat freilich einen Haken: die türkische Rechtsanwältin und der syrische Chirurg erscheinen bereits als so normal im täglichen Leben, dass sie praktisch ausgeblendet bleiben, wenn es in der Diskussion über die Integration von Muslimen in Deutschland geht. Fast noch wichtiger ist zudem ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Vorurteile und Pauschalierungen verfangen da am meisten, wo der persönliche Kontakt am geringsten ist. Wer hingegen in seinem eigenen Umfeld Umgang zu Muslimen pflegt, der ist weit weniger empfänglich für diffuse Ängste.

Nun lässt sich Freundschaft nicht verordnen, und niemand stellt seinen Bekanntenkreis mit der Maßgabe zusammen, dort einen ausgewogenen Mix an Minderheiten zu versammeln. Trotzdem gibt es keine Alternative dazu, künftig noch mehr als bisher aufeinander zuzugehen. Der gebürtige Deutsche muss daran ein ebenso starkes Interesse haben wie der hier lebende Muslim. Freilich, das kann Anschläge wie den in Paris, Attentate wie in Syrien, Afghanistan oder Pakistan, bei denen die Täter ebenfalls vorgeben, im Namen Allahs zu handeln, nicht verhindern. Miteinander zu reden, anstatt übereinander herzuziehen, kann aber dazu beitragen, viele unbegründete Ängste abzubauen. Wenn das nicht geschieht, wenn sich die Kluft zwischen den Menschen weiter vertieft, dann sieht die Zukunft ziemlich düster aus.