Besser wäre also, die Kassen entscheiden selbst, wie sie das zusätzliche Geld für Prävention ausgeben?
Besser wäre, es würden vom Bund Qualitätsvorgaben als Rahmen verbindlich gesetzt. Was dann konkret geschieht, sollten wir passgenau im Land Baden-Württemberg entscheiden.
Bei der in Aussicht gestellten Krankenhausreform soll der Behandlungserfolg in Kliniken künftig mehr zählen. Warum stellt Sie auch das nicht zufrieden?
Ich will den Plan nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Natürlich wäre das ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben aber international gesehen eine beispiellose Krankenhausdichte. Daran wird die beabsichtigte Reform kaum etwas ändern. Wir brauchen endlich ein abgestimmtes Konzept, wie viel Struktur an welchen Standorten nötig ist. Zum Beispiel: In Stuttgart gibt es hoch gerüstete Häuser, drumherum entstehen gerade riesige Kliniken im Rems-Murr-Kreis, in Ludwigsburg und in Böblingen. Wir werden aber nicht erleben, dass in größerem Umfang Kapazitäten abgebaut werden. So treiben wir die Angebote immer höher. Der Druck auf die Kliniken wächst damit, sich zu refinanzieren und womöglich unnötige Operationen vorzunehmen. Das Land müsste hier stärker steuernd eingreifen.
Muss das Land Häuser schließen?
Zum Beispiel ist die Schlaganfallkonzeption des Landes in der Theorie hervorragend, aber sie hat in der Praxis keinen Biss, weil jedes Haus, das eine Innere Medizin hat, Schlaganfälle versorgen kann, egal ob es die Qualitätskriterien der Schlaganfallversorgung erfüllt oder nicht. Da wäre dringend eine Konzentration notwendig. Weil es die nicht gibt, werden schätzungsweise 10 000 Menschen im Jahr nicht so erstversorgt, wie es medizinisch notwendig wäre. Wenn die Qualität dauerhaft nicht passt, muss künftig ein Krankenhaus aus dem Bettenplan raus.
Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz versucht der Gesetzgeber steuernd einzugreifen. Reicht das aus?
Das schwierige Feld hier ist die ärztliche Niederlassung. Die Probleme fangen da schon bei der Ausbildung an. Von den jungen Medizinern wollen 90 Prozent Facharzt werden, nur zehn Prozent machen den Allgemeinarzt. Bei einer heute schon überalterten Hausärztelandschaft wird das in wenigen Jahren zu riesigen Problemen führen, was vor allem die Versorgung auf dem Land anbelangt. Einerseits fehlt der hausärztliche Nachwuchs. Andererseits gibt es über 80 verschiedene Facharztweiterbildungen, das geht – übertrieben gesprochen – bis hin zum Facharzt für den linken dicken Zeh. Uns fehlt die Orientierung an den Versorgungsnotwendigkeiten der Bevölkerung. Hochleistungsmedizin ist wichtig, aber wir brauchen vor allem eine stabile Basis für die Gesellschaft des langen Lebens, für chronisch kranke Patienten und Menschen die 80, 85 Jahre und noch länger möglichst gesund leben. Die müssen wir gut versorgen.
Die große Koalition hat den Kassen etwas Beitragsautonomie gegeben. Rechnen Sie nun mit steigenden Beiträgen?
Auf lange Sicht wird sich die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen der Kassen weiter öffnen. Im Schnitt wird der Zusatzbeitrag 2016 schon über 1,0 Prozent liegen. 2017 werden deutliche Steigerungen folgen, weil dann die Reserven der meisten Kassen aufgebraucht sind.
Warum zahlt man bei der AOK Sachsen-Anhalt eigentlich weniger als bei Ihnen?
Das liegt an der Verteilung über den Gesundheitsfonds. Kassen kriegen in Deutschland für jeden Versicherten nach Alter, Geschlecht und Morbidität justiert gleich viel an Finanzvolumen zugewiesen. Aber die AOK Baden-Württemberg mit fast vier Millionen Versicherten finanziert ein hochpreisiges Gesundheitswesen, weil wir in einem Land mit überdurchschnittlichen Löhnen, Mieten und Preisen sind. In Sachsen-Anhalt ist das anders.