Eine hochrangige Delegation aus China war zu Gast bei Roto Frank in Leinfelden. In Xiongan wird eine neue Megacity entstehen, und der Fensterbeschlaghersteller will dabei sein, wenn Wohnraum für 20 Millionen Menschen geschaffen wird.

Leinfelden-Echterdingen - Man darf sich sicher sein, dass der Verkehr in Baoding kaum flüssiger fließt als hierzulande. Die Stadt hat wohl an die zwölf Millionen Bewohner und gilt als dreckigste Stadt Chinas. Nirgendwo ist die Luft schlechter. Guo Jianying, der Bürgermeister von Baoding, verspätet sich dennoch ein wenig auf dem Weg von seinem Hotel in der Stuttgarter Innenstadt bis nach Leinfelden. Beladen mit einem kleinen Tross an Funktionären, Unternehmern und einem Übersetzer rollt der ziemlich große Bus dann schließlich doch vor das Werkstor von Roto Frank in Leinfelden. Eckhard Keill, der Vorstandsvorsitzende des Fensterbeschlagherstellers, schüttelt Hände und schwärmt von dem tollen Wetter, das eigens für die Gäste bestellt wurde. „Ich bin gekommen, um Freunde kennenzulernen“, erwidert der Geehrte.

 

Roto Frank erhofft sich zehn Prozent des Marktes

Dabei geht es nicht um schönes Wetter oder um Freundschaften. Es geht um wirtschaftliche Interessen. Es geht ums Geschäft. Baoding ist vor Kurzem ins Zentrum des Weltinteresses gerückt, das darf man schon so formulieren. Die Stadt soll das neue Zentrum einer Megacity sein, die auf dem Reißbrett längst existiert und nun auch Stück für Stück in Beton gegossen wird. 20 Millionen Menschen mehr als bisher sollen dort wohnen und den Kern einer Sonderwirtschaftszone namens Xiongan bilden. Wo viele Häuser entstehen, werden noch viel mehr Fenster und Türen gebraucht – und damit Beschläge, wie sie der Spezialist aus Leinfelden produziert.

„Für uns ist das spannend. So etwas erlebt man nicht alle Tage“, sagt Keill. Eine kleine Rechnung soll verdeutlichen, welches Stück des Kuchens sich Roto Frank erhofft. 20 Millionen Menschen, das sind 100 Millionen Fenster und Türen, und zehn Prozent der Beschläge dafür kommen aus Leinfelden. In den nächsten fünf Jahren dürfte demnach die neue Megacity für ein bis zwei Prozent des jeweiligen Jahresumsatzes verantwortlich sein. „Das ist bedeutend“, sagt der Vorstandsvorsitzende. „Aber wir müssen dafür keine neue Fabrik gründen. Das machen wir aus dem laufenden Geschäft.“

Die Parteirichtlinie verbietet Fragen zur Politik

Eine Tour durch das Werk soll den Gästen die hiesige Qualität verdeutlichen. Es geht durch Hallen, vorbei an Stanz-, Umform- und Schweißmaschinen. Hüben werden Metallbänder von Rollen gezogen, drüben glänzende Teile in Schütten gespuckt. Roboterarme greifen nach Stücken, Elektromagnete nach anderen. Das Werk in Ungarn ist zwar dreimal so groß wie das am Stammsitz des Unternehmens. Aber von der Verwaltung nebenan aus werden die gut und gerne 4000 Mitarbeiter weltweit koordiniert.

Nun ist es so, dass sich normalerweise kein Bürgermeister die Gelegenheit nehmen lässt, selbst einige Worte zu sagen, die über reine Nettigkeiten hinausgehen. Aber Politik funktioniert in China eben anders. Selbst nach der Vorlage von Keill, dass dieses Treffen auch ein Zeichen für den Freihandel sei, gerade mit Blick auf die USA, kann Guo zwar herzhaft lachen. Einen Kommentar will er aber trotzdem nicht abgeben. Und die von dem Unternehmen vorher abgeklärten Fragen zur Bedeutung der Sonderwirtschaftszone und der Zusammenarbeit mit Roto Frank will der chinesische Bürgermeister auch nicht beantworten. Parteiinterne Richtlinie sei das, lässt der Übersetzer wissen. Klartext wird erst geredet, als die Presse weg ist und die Gruppe in einem Konferenzraum verschwindet.