Vor allem aber geht es um das Skandalon, dass „die Deutschen“ nach der Befreiung vom Faschismus keine Bilder ihres eigenen Landes in der Manier des italienischen Neorealismus sehen wollten, sondern sich lieber eskapistisch in die Heimat- und Schlagerfilme flüchteten. Diese Fluchtbewegung ist gewissermaßen das Substrat von „Phoenix“, wo nur Nelly daran glaubt, sie könne in ihr altes Leben zurück. Ihre Freundin Lene, aus gutem Haus, hat die NS-Zeit in England und der Schweiz überlebt, arbeitet für die Jewish Agency und träumt von einem neuen Leben in Palästina. Sie leidet aber auch an ihrem Schuldgefühl, überlebt zu haben.

 

Auch Johnny träumt von einem radikalen Neuanfang, braucht dafür allerdings als Startkapital das Erbe Nellys, die er verraten hat. Folglich ist er daran interessiert, das Modell „Nelly“, das er aus Esther baut, immer auf Distanz zu halten, während Nelly hier ihre Chance wittert, Überschuss zu produzieren und ihn an die alte Liebe zu erinnern.

Ein Tanz, aber wer führt?

Christian Petzold hat dieses verquere Liebesspiel, das „Phoenix“ zeigt, als „Tanz“ bezeichnet, wobei nicht ausgemacht ist, wer wann dabei führt: „Er versucht, die Vergegenwärtigung der Liebe zu verhindern, und sie versucht, sie wiederherzustellen.“ So entwirft dieses bestechend kluge Kammerspiel einen dichten filmischen Raum, dem es nicht nur zu zeigen gelingt, auf welche Schrecken der klassische Film noir ästhetisch zu antworten versuchte (und dies zeitgenössisch nur verklausuliert konnte), sondern auch noch, warum es in der deutschen Filmgeschichte keine oder nur sehr wenige Filme des Film noir gegeben hat.

Überdies leistet sich Petzold den Luxus, seine Tiefenbohrung in die deutsche Geschichte mit den Schauspielern in den Hauptrollen zu unternehmen, deren Liebesgeschichte der DDR-Film „Barbara“ erzählte, was die ganze Geschichte noch modellhafter und distanzierter erscheinen lässt, bis hin zu jenem Moment, als Nelly noch einmal diesen Song von Kurt Weill anstimmt, mit dem sie vor ihrer Internierung reüssierte. Ein Moment, der Filmgeschichte schreibt. Der Preis, den Petzold für das Gelingen seines überaus anspruchsvollen Projekts zu zahlen bereit ist, ist ein Mangel an jener Lebendigkeit und augenzwinkerndem narrativem Überschuss, der beispielsweise Fassbinders Geschichtstrilogie „Die Ehe der Maria Braun“, „Lola“ und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ auszeichnete. Konsequent, aber fast schon etwas streberhaft positioniert Petzold seine Geschichte mit der Widmung an Fritz Bauer, den Generalstaatsanwalt, dessen Arbeit die Auschwitzprozesse möglich machte. Damit nur keine Missverständnisse aufkommen.