In den USA wurde sein Buch „160 tödliche Treffer“ ein Bestseller: Chris Kyle war der zielsicherste Scharfschütze im Irak. Clint Eastwood zeigt uns nun mit Bradley Cooper in der Hauptrolle die Taten Kyles – leider in einem erzkonservativen Stück Heldenverehrung.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Es scheitert ganz sicher nicht an den ersten Filmminuten. Da zeigt sich Clint Eastwood noch als absolut souveräner Regisseur, der im Lauf eines langen Künstlerlebens nun wirklich gelernt hat, wie man eine Geschichte zu erzählen beginnt, wie man die Zuschauer in das Geschehen hineinzieht.

 

Wir sehen den amerikanischen Scharfschützen Chris Kyle im Irakkrieg. Von einem Dach aus soll er die Hausdurchsuchungen seiner Kameraden am Boden sichern. Durch das Visier seines Gewehres kontrolliert er jede Bewegung in der Umgebung. Da sieht er eine Mutter mit ihrem Sohn vor die Tür treten. Sie versteckt etwas unter ihrem Umhang. Kyle meldet den Vorgang bei den Vorgesetzten. Diese fordern ihn auf, selbst Entscheidungen zu treffen. Wir sehen weiter durch das Visier des Schützen: Die Mutter drückt dem Kind etwas Waffenähnliches in die Hand, schickt es nach vorn, den Panzern entgegen.

Der Film ist erst wenige Augenblicke im Gang, und schon rührt er an ein Tabu. Werden wir tatsächlich jetzt im Kino Zeuge, wie ein US-Scharfschütze ein Kind erschießt? Wir sehen den Schützen mit sich selbst ringen, im Konflikt schwer atmen, den Finger am Abzug anspannen und wieder lockern. Und dann kommt doch der vorerst erlösende Filmschnitt: die Rückblende zum „Was zuvor geschah“, einer Szene aus Kyles Kindheit, einer Idylle.

Alpträume und Versagensängste

Der vor zwei Jahren gestorbene reale Chris Kyle ist in Amerika eine Berühmtheit. In seiner Zeit als aktiver Irakkrieger konnte er über 160 Feindtötungen nachweisen und gilt damit als erfolgreichster Scharfschütze des Landes, eben als „American Sniper“. Seine Autobiografie „160 tödliche Treffer. Der beste Scharfschütze des US-Militärs packt aus“ ist ein Bestseller.

Wobei man Kyle zugestehen muss, dass er bei allem Stolz auf seine soldatischen Leistungen auch die Schattenseiten nicht unerwähnt ließ: seine Schwierigkeiten, nach den Einsätzen im Privatleben und im Alltag wieder Tritt zu fassen, Abstand zu gewinnen von quälenden Albträumen und Versagensängsten. Auch sein trauriges Ende – er wurde von einem anderen Kriegsveteranen bei privaten Schießübungen im Wahn getötet – passt in dieses Bild.

Mit anderen Worten: man kann die Heldengeschichte des „American Sniper“ leicht um ihre tragischen Seiten erweitern, könnte zeigen, wie hinter der Fassade des modernen Heroen Ängste und  Schuldgefühle die wahren  Wirkungsmächte waren, Trauma und Verdrängung. In ein solches Bild würden sich auch leicht die heillosen Schmähungen einfügen, mit denen Kyle über seine Feinde sprach, auch die Lügengeschichten, mit denen er seinen Kampf um die amerikanischen Werte zusätzlich aufpolierte. Und welcher andere Regisseur wäre besser für eine derart abgründige Psychostudie geeignet, ja dafür prädestiniert, als Clint Eastwood?

Raunen von Ehre und Treue

Umso fassungsloser sieht man das Ergebnis, das Eastwood hier vorlegt und das er selbst als „Antikriegsfilm“ betrachtet. Keine Frage, man kann in „American Sniper“ manches entdecken, was von der psychischen Deformation des Menschen durch den Krieg erzählt – die Todesängste, die Zweifel, die Verrohung, die notwendige Verdrängung aller Schuldgefühle, die innere Kapitulation vor dem Wissen, dass all das nie ein gutes Ende nehmen kann.

Ein Kerl aus einem Kindercomic

Doch die Qualität, weil Offenheit der Zuspitzung aus den ersten Filmminuten erreicht Eastwood im weiteren Verlauf nie wieder. Im Gegenteil, seine Erzählung von den vier Einsätzen Kyles im Irak geraten nur zu einer Variante der inzwischen zahllosen modernen amerikanischen Kriegsfilme, in denen schlicht gestrickte, aber aufrechte Soldaten einfach gar nicht anders können, als stellvertretend für die Weicheier dieser Welt Drecksarbeit zu erledigen: „Uns hilft ja keiner. Also schießen wir.“

Und so muss der Hauptdarsteller Bradley Cooper (für diesen Film im Gesicht und an den Oberarmen erschreckend aufgeblasen zum Muskelprotz wie aus einem Kindercomic) all das spielen und durchexerzieren, was wir nun schon dutzendfach in früheren US-Filmen gesehen haben: das Raunen von Ehre und Treue, das Knechten auf dem Exerzierplatz, das nicht enden wollende sexistische Proll-Gelaber unter verschwitzten Kameraden, die „Schau mich an, halt durch, ich hol uns hier raus“-Rufe, wenn ein Nebenmann zerfetzt wurde.

Mitbewohner im Haus der Rechten

Und wer glaubt, diese ganze Eindimensionalität sei ganz sicher nicht mehr steigerbar, wird am Ende noch eines Besseren belehrt. Nach zwei Stunden lässt Eastwood sein Werk in einer Apotheose aus großem Trauerzug, dunklem Himmel, Fahnenweihe und Trompetensolo enden.

Natürlich, das kann man diesem Film zugutehalten: Clint Eastwood zeigt uns ein weiteres Mal, wie stark, wie kompromisslos ein Teil der amerikanischen Gesellschaft auf eine derart eindimensionale Weltsicht besteht, wie geradezu hysterisch man sich an dieses Bild von sich selbst festklammert. Eastwood wird in diesem Leben ganz sicher kein Liberaler mehr. Aber in früheren Filmen zeigte er sich schon mal als Herr im rechten Haus und öffnete ein Fenster mit Blick nach weit draußen. In „American Sniper“ ist er wieder nur ein Mitbewohner.

American Sniper. USA 2014. Regie: Clint Eastwood. Mit Bradley Cooper, Sienna Miller. 132 Minuten. Ab 16 Jahren.