Helena Waldmann beleuchtet in „Gute Pässe, schlechte Pässe“ mit Akrobaten, Tänzern und Bürgern aus Stuttgart die Themen Nationalität und Ausgrenzung.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Ein weißer Klebestreifen teilt die Bühne in zwei Hälften. Und auch der Titel des Stücks, das sich in der nächsten Stunde hier abspielt, klingt nach Polarisierung. „Gute Pässe, schlechte Pässe“ heißt Helena Waldmanns neuster Streich, der am Freitag und Samstag im Stuttgarter Theaterhaus zu Gast beim Tanzfestival „Colours“ war, einem von acht Koproduzenten.

 

Die Tanzregisseurin hat es sich seit langem zur Aufgabe gemacht, ihrer Kunst einen Mehrwert zu geben. Zuletzt holte sie für „Made in Bangladesh“ Kathak-Tänzer aus Dhaka auf die Bühne – und beleuchtete mit ihnen das Thema Ausbeutung, in der globalen Textil-Industrie wie in der deutschen Tanzszene. In „Gute Pässe, schlechte Pässe“, im März in Ludwigshafen uraufgeführt, treten drei Zirkusakrobaten gegen vier zeitgenössische Tänzer an. Und wenn im Verlauf des Stücks einer der Tänzer sich immer wieder diktatorisch gebärdet und mit gereckter Faust auf Englisch brüllt „Keine Tricks! Keine Erklärung! Kein echtes Leben!“, dann ist das ein Manifest, dem sich Helena Waldmann vermutlich nicht anschließen würde. Ihr Kunstverständnis ist ein anderes.

Phalanx aus Stuttgarter Bürgern

Bühnenzauber muss aber sein, damit gehen die bitteren Pillen, die sie auch in „Gute Pässe, schlechte Pässe“ verteilt, besser runter. So katapultieren die Artisten die alte chinesische Kunst der vertikalen Stangenakrobatik mit tollkühnen Aktionen in die Gegenwart, testen die Tänzer auf ihre Art Balance und Schwerkraft aus. Doch gleich zu Beginn rammt die Theatermacherin mit einer Phalanx aus Stuttgarter Bürgern Pflöcke ein und positioniert dieses Stück. Ja oder Nein? Aus dem Off kommen Fragen, je nach Antwort wechseln die Darsteller die Bühnenhälften – und machen Ausgrenzung sichtbar. Egal ob wirtschaftliche Verhältnisse oder Staatszugehörigkeit, jeder ist Teil dieses Prozesses und schützt sich durch unsichtbare Mauern oder kämpft gegen sie an – im schlimmsten Fall mit Terror und Erniedrigung, wie eine beklemmend intensive Schlacht zwischen Tänzer und Akrobat später ausmalt.

Lösungen? Hätten wir gern, aber Helena Waldmann ist Theatermacherin, nicht Weltenretterin. Bühnenbegegnungen wie diese sensibilisieren, mit einer eng geknüpften Menschenkette endet das Stück, nachdem die von Tänzern und Akrobaten aufgewiegelte Masse eine bedrohliche Eigendynamik entfaltet hat. Zu finster ist „Gute Pässe, schlechte Pässe“ also nur optisch. Schwarz macht das Auge müde und dominiert, als würde die Kunst zu Grabe getragen. Dabei ist sie hier hellwach und höchst lebendig.