Und Sarah saugt weiter alles auf: in einem Kibbuz die Bilder und Berichte von frühen Siedlern und deren Euphorie, den Pogromen und dem Antisemitismus in Europa entkommen zu sein; in der Wüste Negev das Elend der Beduinen, die in Israel nicht mehr in ihr altes Leben zurückfinden können; auf der Felsenfestung Masada die Geschichte vom Aufstand gegen Rom, von dem sie weiß, dass die jüdischen Rebellen sehr zweifelhafte Vorbilder sind; in einer Oase die Worte des kämpferischen Israel-Gründers Ben Gurion, der zugab: "Wäre ich ein Araber, würde ich mich auch wehren gegen eine Einwanderung"; in Jerusalem das seltsame Gefühl an der Klagemauer, an der sie in einer Ritze eine Friedensbitte hinterlässt; und in Yad Vashem die Abwesenheit jeden Gefühls des Holocaust-Gedenkstättenführers: "Die Ansagen in der New Yorker U-Bahn sind emotionaler."

 

Sarah selbst aber wird bei dieser Reise einmal so von Emotionen überflutet, dass sie in Tränen ausbricht. Ihre kritische Haltung scheint aufzuweichen, und als sie ihren in Israel studierenden Cousin trifft, stellt der bei ihr ganz kühl "den Birthright-Glanz" fest: "Man kommt mit einem Haufen anderer Leute im gleichen Alter hierher, wird herumgeführt, muss sich um nichts kümmern. Alles ist kostenlos. Eine ideale Reiseerfahrung, man amüsiert sich garantiert. Dann fährt man zurück in die Staaten, und wenn man an Israel denkt, denkt man an die tolle Zeit auf dem Birthright-Trip".

Auch wenn Sarah weiter skeptisch bleiben will, fragt sie sich doch, warum sie sich in Israel nicht wirklich fremd fühlt, ob es also doch auch ihr Land ist. Ihr Weltbild beginnt zu wanken, Schuldzuweisungen werden immer schwerer: "Ist dies einfach eine Geschichte, in der es keine Guten gibt?" Sarah Glidden teilt sich seit ihrem Erfolg mit "Israel verstehen" ein New Yorker Studio mit sechs weiteren Comic- und Cartoonzeichnerinnen. Sie war inzwischen auch im Irak, in Syrien, in der Türkei und im Libanon, nun als Journalistin, und will darüber auch wieder in Comicform berichten. Vor diesen Reisen aber hat sie gesagt, sie habe mit diesen Ländern nicht die gleiche komplexe Beziehung wie mit Israel: "Auch wenn es seltsam klingt: das wird ein mentaler Urlaub für mich."

Sarah Glidden: "Israel verstehen - In 60 Tagen oder weniger", Panini Verlag Stuttgart, 206 Seiten, Hardcover, 24,95 Euro.