Daimler-Chef Dieter Zetsche propagiert weiter seine Wachstumsziele. Aber er weiß, dass das Unternehmen auch andere Autos braucht. Ein Kommentar von StZ-Autor Michael Heller

Stuttgart - Der Blick in den Unternehmen richtet sich nach vorne, der Erfolg von gestern zählt heute nicht mehr. Deshalb sind Aktionärstreffen wie die Daimler-Hauptversammlung in Berlin eigentlich ein Anachronismus. Denn nach dem Aktiengesetz sollte das Management den Eigentümern Rechenschaft darüber ablegen, wie es im abgelaufenen Geschäftsjahr zu dem ausgewiesenen Gewinn oder Verlust gekommen ist. Die Realität sieht so aus: Vorstandschef Dieter Zetsche konnte rundherum glänzende Zahlen für das Jahr 2015 präsentieren, aber die waren längst bekannt. Der Lorbeer welkt schnell. Entscheidend ist der Kurs in der Gegenwart und den nächsten Jahren.

 

Zetsche will in den Jahren, die ihm nach der Verlängerung seines Vertrags bis Ende 2019 auf dem Daimler-Chefsessel bleiben, weiter von Rekord zu Rekord eilen. Das Ziel des 62-Jährigen ist es seit langem, bis 2020 global die Nummer eins bei den Autobauern in der Oberklasse zu werden. Angesichts des schon jetzt nur noch geringen Abstands zu dem führenden Anbieter, dem Münchner Rivalen BMW, erscheint dieses Ziel nicht allzu ehrgeizig. Unabhängig davon ist es aber die falsche Zielsetzung. Für einen Autobauer wie Daimler, der mit seinen Fahrzeugen ja auch stets eine gewisse Exklusivität verkauft, ist schiere Menge grundsätzlich ein Problem. Noch wichtiger für die gesamte Branche ist jedoch, dass es nicht darum geht, mehr Autos zu bauen, sondern andere.

Vom autonomen Fahren spricht Zetsche besonders gerne

Andere Autos, das erkennt der Daimler-Lenker durchaus an. „Das beste oder nichts“, lautete ein Ausspruch von Gründer Gottlieb Daimler, den der Konzern unter Zetsches Regie zum durchaus umstrittenen Slogan für die Marke Mercedes-Benz erhoben hat. Daimler versteht sich als Erfinder des Automobils und will auch in Zukunft in der Branche der Schrittmacher sein. Die Neuerfindung des Automobils, von der Zetsche bisweilen spricht, geht für den Topmanager einher mit den Visionen vom unfallfreien und emissionsfreien Fahren. Das Problem dabei: die Ziele sind für Zetsche offenbar nicht gleichrangig.

Von autonom fahrenden und vernetzten Autos spricht der Chef erkennbar lieber als vom Antrieb der Zukunft. Das ist zunächst einmal verständlich, denn das digitalisierte Fahrzeug bedroht unmittelbar keine Arbeitsplätze. Ganz anders sieht es bei der Umstellung vom Verbrennungs- auf den Elektromotor aus: Wenn keine Kurbelwellen, Kolben und Ölfilter mehr gebraucht werden, dann brauchen Autobauer und Zulieferer auch die entsprechenden Fabriken und Arbeitsplätze nicht mehr. Insofern ist es der Branche gar nicht unrecht, dass die Batterien noch nicht hinreichend leistungsfähig sind und der Kapazitätsmix in der Energiebranche keinen sauberen Strom verspricht. Die Wende wird also gewiss nicht schon morgen stattfinden.

Der Plug-in-Hybrid kann nicht die Lösung sein

Trotzdem steht Daimler unter einem enormen Zeitdruck. Der Konzern schafft zwar die aktuellen Abgasgrenzwerte, die seit 2015 gelten, aber nur knapp: maximal 130 Gramm Kohlendioxid sind gefordert, Daimler liegt bei 128 Gramm. Das nächste Ziel ist bereits fixiert: 95 Gramm bis 2020. Dass dies mit der aktuellen Produktpalette nicht zu schaffen ist, weiß auch Zetsche, der deshalb auf den Plug-in-Hybrid setzt; für ihn die „Erfolgstechnologie der nächsten Dekade“. Allein 2017 sollen zehn Modelle mit der umstrittenen Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor auf den Markt kommen. Dass ein massiger Geländewagen in der Stadt zum Ökomobil wird, nur weil er zusätzlich ein Elektromotörchen an Bord hat, ist allerdings einfach unglaubwürdig. Der Plug-in-Hybrid kann allenfalls helfen, die Jahre bis zum echten E-Auto zu überbrücken.

Zetsche kündigt aber auch ein Elektroauto mit 500 Kilometer Reichweite bis Ende des Jahrzehnts an. Das zeigt, dass der Chef verstanden hat, wo die Herausforderungen liegen, zumal Kohlendioxid nicht das einzige Emissionsproblem des Verbrennungsmotors ist – siehe Volkswagen. Auch Daimler ist auf den Diesel angewiesen und hätte ein massives Problem, wenn sich die Zweifel an einigen Messwerten letztlich nicht ausräumen lassen sollten. Ein klares Signal ist auch die Aufstockung der Investitionen und die Ausweitung des Budgets für Forschung und Entwicklung. Das Rennen um den Antrieb der Zukunft wird nicht das Unternehmen gewinnen, das am schnellsten am Start war; insofern muss Zetsche nicht neidisch sein auf die i-Modelle des Rivalen BMW. Das gilt auch für das ziemlich reißerisch angekündigte 35 000-Dollar-Auto des amerikanischen Newcomers Tesla, den Daimler nicht ganz ernst zu nehmen scheint. Hochmut können sich die Stuttgarter freilich nicht leisten.