Er steht an vorderster Front beim harten Kampf um die Zukunft der Elektroproduktion im Daimler-Stammwerk Untertürkheim: Betriebsratsratschef Wolfgang Nieke.

Stuttgart - Ein Formel-1-Fan wird aus Wolfgang Nieke sicher nicht mehr werden. Aber er hat sehr wohl registriert, dass die Begeisterung für die PS-strotzenden Silberpfeile und ihre Fahrer im Kreis der Mercedes-Belegschaft nicht zu unterschätzen ist – natürlich auch bei den 19 000 Beschäftigten am Traditionsstandort Stuttgart-Untertürkheim, wo Nieke Betriebsratsvorsitzender ist. Über so viele Menschen wie bei der Veranstaltung zum Saisonende, sagt er, würde sich die IG Metall bei ihren Kundgebungen freuen. Und deshalb bezeichnet er den Motorsport auch nicht mehr als „teures und lieb gewonnenes Spielzeug“ des Vorstands, an dem die Männer auf der Führungsetage festhalten, während den Beschäftigten in den Fabriken Kostensenkungen abverlangt werden.

 

Formel 1: „Ich habe die Diskussion für mich eingestellt“

So war das bei Daimler im Jahr 2010, als der neu gewählte Betriebsratsvorsitzende den Vorstand mit Dieter Zetsche an der Spitze aufforderte, dem Rennsport-Spektakel ein Ende zu bereiten. Für die teure Verpflichtung von Ex-Weltmeister Michael Schumacher hat dem gebürtigen Stuttgarter schon ein Jahr zuvor jedes Verständnis gefehlt. Aber dann hat Nieke über das Thema geschwiegen, zumal es auch für das Werk Untertürkheim in den Folgejahren deutlich aufwärtsging. Nachdem Lewis Hamilton und Nico Rosberg zuletzt dreimal in Folge jeweils den Einzeltitel und die Konstrukteurswertung gewonnen haben, steht der Rennstall natürlich auch ganz anders da als nach den durchwachsenen Jahren zu Beginn des Jahrzehnts. Geblieben ist Niekes Distanz: „Ich habe die Diskussion für mich eingestellt. Aber ich gehöre nicht zu denen, die sonntags vor der Glotze sitzen und sich das anschauen. Ich habe auch noch nie eine Einladung zu so einem Event angenommen.“

Der mittlerweile 60-jährige Nieke ist – das bringt der Job als Betriebsratschef mit sich – ein Freund der klaren Worte. Aber er ist kein Lautsprecher, er denkt lieber nach, bevor er spricht. Einem Betriebsratsvorsitzenden müssen die Arbeitsplätze so wichtig sein, wie es andererseits dem Vorstandschef die Gewinne und die Dividende sind. Dies ganz einfach und pauschal zu fordern ist das eine. Nieke hat aber gleich nach seiner Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden gemahnt, dass die Sicherheit der Arbeitsplätze im Neckartal an strategischen Entscheidungen hängt. Immer wieder hat er seitdem wiederholt, was bereits in einem Interview vom November 2009 im „Scheibenwischer“, der IG-Metall-Betriebszeitung für Untertürkheim, zu lesen war: „In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden sich die Antriebstechnologien deutlich verändern. Deshalb ist es wichtig, dass das Unternehmen führend ist in Technologien wie Hybrid, Elektromotor oder Brennstoffzelle. Und zwar nicht nur bei der Entwicklung, sondern auch bei der Produktion. Untertürkheim hat dazu (. . .) eine solide Basis.“

Grüne Themen haben den gebürtigen Stuttgarter schon immer interessiert

Gleichwohl hat der Vorstand stets ein klares Bekenntnis zu Untertürkheim vermieden. Mal wurden die Werke Hamburg und Berlin bedacht, mal hat Nabern (Kreis Esslingen) von der Arbeit an der Brennstoffzelle profitiert. Nieke bleibt bei seiner Einstellung, die er schon vor Jahren hatte: „Wir sind nicht nur Untertürkheim, wir müssen das austarieren. Wir können nicht sagen, Berlin muss sterben, Untertürkheim soll leben. Solidarität zwischen den Standorten ist uns wichtig.“

Eigentlich ist der Vater von zwei erwachsenen Kindern ein Linker, so wie es sich für ein IG-Metall-Mitglied gehört. Als Jugendlicher war er sogar auf der ganz linken Seite, in einer Splittergruppe, der auch der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber angehörte. Aber irgendwie war Nieke auch ein Grüner. Als 15-Jähriger, so erzählt er, habe er 1971 eine Schülerdemo in Stuttgart organisiert, bei der die Teilnehmer einen VW mit der Aufschrift „Eure Abgase machen uns tot“ vor sich herschoben. Schmunzelnd sagt Nieke: „Ich bin nicht als grünes U-Boot ins Unternehmen gekommen. Aber politisch haben mich die Themen Atomausstieg, Umweltschutz und Friedensbewegung immer bewegt, da habe ich mich engagiert.“ Als Daimler-Betriebsrat kämpft er vor allem für die Belegschaft. Aber auch das Thema Ökologie steht jetzt auf der Agenda ganz oben. Denn: „Der VW-Skandal hat zu einer ungeheuren Beschleunigung des Themas alternative Antriebe in der Industrie geführt“, sagt Nieke. „Das hatte für die Autoindustrie die gleiche Wirkung wie Fukoshima für die Atomindustrie.“ Und er weiß: „Man muss die Themen Umwelt und Auto ein Stück weit im Einklang haben.“

Lieber zum Daimler, denn die Mutter war bei Bosch

In der Jugend hat Nieke zunächst auf die betriebliche Karriere gesetzt. 1974 begann er in Untertürkheim eine Werkzeugmacherlehre, es folgten der Abschluss als Maschinenbautechniker und die Handwerksmeisterprüfung sowie anschließend die Arbeit in der Entwicklung, zunächst im Bereich Nutzfahrzeuge, dann als Konstrukteur in der Personenwagen-Entwicklung. Er hätte auch zu Bosch gehen können, aber da hat seine Mutter gearbeitet – was den Ausschlag zugunsten von Daimler gab. Aufgewachsen ist er ohne Vater. „Ich habe immer gesagt: Mein Vater ist bei der Geburt verloren gegangen“, nimmt er das Thema von der lockeren Seite. Ein Lehrer setzte sich dafür ein, dass er zumindest noch die Realschule besuchen konnte.

Ein kämpferischer Kurs darf kein Selbstzweck sein

Dass er die Ausbildung gemacht hat, bereut Nieke bis heute nicht. Vielmehr freut er sich, dass er in der Werkstatt im Keller mit der Modelleisenbahn und bei Schreinerarbeiten Stress abbauen kann. Dass er erst Gewerkschafts- und dann Betriebsratsmitglied geworden ist, betrachtet der Stuttgarter aufgrund seiner politischen Haltung als fast zwangsläufig. Dass er Betriebsratsvorsitzender geworden ist, war kein angestrebtes Ziel, versichert Nieke. Aus dem Weg gegangen ist der IG-Metaller dieser Position aber auch nicht. „Natürlich sind Ehrgeiz und Anspruch wichtig“, erklärt er den eingeschlagenen Weg, „aber es ist genauso wichtig zu wissen, dass die anderen es einem zutrauen.“

Daimler gilt (ebenso wie Bosch) als ein Konzern, dessen Belegschaftsvertretung fest in den Händen der IG Metall ist. Für Untertürkheim trifft das freilich nicht ganz zu. Hier gibt es immer wieder Streit mit Gruppierungen, denen die – im Betriebsrat dominante – IG Metall nicht kämpferisch genug ist; „Kuschelkurs“ lautet das dazugehörige Schimpfwort. Nieke überlegt im Gespräch länger, wie er auf das Thema reagieren soll, sagt dann aber in aller Ruhe: „Man muss beides können: auf den Putz hauen und mit dem Vorstand reden. Wenn Gesprächsebenen abbrechen und nicht mehr funktionieren, dann bekommt man auch als Betriebsrat nichts mehr geregelt.“ Wohin ein betont kämpferischer Kurs führen kann, dass zeigt ihm das Beispiel Opel in Bochum. „Was ist von dem Werk übrig?“, fragt er. „Ich kenne Betriebsräte, die heute arbeitslos sind. Wenn nach wochenlangem Kampf die Arbeitsplätze und die Firma weg sind, dann hat es sich nicht gelohnt.“