Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)
Als zeitlichen Horizont für autonome Daimler-Fahrzeuge haben Sie 2020 bis 2025 genannt. Was macht Sie so sicher, dass es dann einen Markt für diese Autos gibt?
In den vergangenen Jahren sind immer mehr flexible Nutzungsmodelle entstanden, bei denen es darum geht, sich auf Knopfdruck ein Auto zu bestellen, das den Nutzer dann von A nach B bringt. Mit Robotaxis ermöglicht man ein Geschäftsmodell, das deutlich wirtschaftlicher ist als das bestehende. Denn die Kosten für die Technologie werden wesentlich geringer sein als die Kosten für die Fahrer. Für die Mobilitätsdienstleister dieser Welt, zu denen wir auch gehören, ist das eine bahnbrechende Technologie, und für die Kunden wird Mobilität so am Ende wesentlich günstiger.
Und was ist mit den Kunden, die nach wie vor ein Auto besitzen und Spaß am Fahren haben wollen?
Ich fahre selbst eine S-Klasse, in der ich mich super wohl fühle und bei der ich froh bin, dass es meine ist. Ich kann sie fahren, wann ich will, und kann meine Sachen dort liegen lassen. Wenn mir allerdings nun jemand für einen vernünftigen Sonderausstattungspreis auch noch einen Fahrer anbieten würde, würde ich das Angebot annehmen. Wenn man abends einfach nur noch müde ist oder einmal im Restaurant ein Glas Wein trinken möchte, ist man froh, wenn man nicht selbst fahren muss. Ein anderes Beispiel ist, wenn man in die Stadt fährt und es zu eilig hat, um einen Parkplatz zu suchen. In solchen Fällen ist doch jeder froh, wenn das Auto die Parkplatzsuche übernimmt. Ich kann mir da viele attraktive Anwendungsbeispiele vorstellen. Alle Marktforschungen, die wir bislang zu dem Thema gemacht haben, bestätigen, dass es einen Markt für autonome Fahrzeuge gibt.
Ganz anders sieht es derzeit bei Autos mit elektrischen Antrieben aus. Die Prämie wird zum Ladenhüter. Warum halten Sie ausgerechnet jetzt für den richtigen Zeitpunkt, um massiv in die Elektromobilität zu investieren?
Warum zögern die Menschen bei der Elektromobilität? Weil ihnen die Reichweiten zu gering sind, die Ladeinfrastruktur zu lückenhaft und weil die Kosten hoch sind. Sie stehen auch nicht unter einem Veränderungsdruck, weil das System mit den Verbrennern bequem ist und reibungslos funktioniert. Jeder weiß: Wenn er tanken muss, geht er einfach tanken. Natürlich ist der Kunde nicht bereit, wegen der Elektromobilität Einbußen hinzunehmen. Darum arbeiten wir an höheren Reichweiten. Die Batteriezellen, die jetzt in der Entwicklung sind und die Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen, werden eine wesentlich höhere Energiedichte aufweisen als die heutigen Produkte. Und sie werden die E-Autos wesentlich günstiger machen. Um europaweit flächendeckend eine hochwertige Ladeinfrastruktur aufzubauen, kooperieren wir mit drei anderen Autoherstellern. Obwohl es eigentlich nicht unsere Aufgabe ist, Ladeinfrastruktur aufzubauen, gehen wir hier in die Vorleistung, damit auch diese Antriebsform für die Kunden bequem wird. Zudem achten wir darauf, dass wir nicht nur rationale E-Autos anbieten, sondern Fahrzeuge, die gut aussehen und Spaß machen.
Sie haben die neue Zelltechnologie angesprochen. Schließen Sie es aus, dass Sie bei der nächsten Batteriezellengeneration einen Neuversuch bei der Zellfertigung starten?
Die Zellproduktion lohnt sich erst, wenn man extrem große Stückzahlen fertigt. Und wir haben festgestellt, dass wir nicht den wirtschaftlichen Skaleneffekt erreichen können, wenn wir nur für uns produzieren. Daher ist es für uns günstiger, wenn wir die Zellen zukaufen. Die Batterie wollen wir hingegen auf jeden Fall weiterhin selbst machen. Sollte es irgendwann einmal den Durchbruch einer komplett neuen Zelltechnologie geben, die nicht mehr auf Lithium-Ionen basiert, würden wir das Thema Produktion noch einmal überdenken. Die Zellfertigung ist aber definitiv nicht unser nächstes Industrialisierungsziel. Die Kompetenz in der Entwicklung haben wir allerdings, weshalb wir für die Lieferanten ein guter Ansprechpartner sind. Wir wissen, wie man eine Zelle macht, und arbeiten weiterhin in der Forschung und Entwicklung an diesem Thema.
Auch die Elektromotoren bauen Sie derzeit nicht allein. Wie wird sich das entwickeln, wenn die EQ-Familie erfolgreich ist und Sie die Stückzahlen signifikant hochfahren müssen?
Wir haben in Hildesheim ein Joint Venture mit Bosch: EM-motive. Dort werden unsere Elektromotoren produziert und das funktioniert sehr gut. Darum werden wir an dieser Konstellation wegen EQ nichts ändern.
Können Sie die Sorgen der Arbeitnehmervertreter verstehen, die sagen, dass bei Daimler viele Jobs am Verbrennungsmotor hängen – insbesondere in Untertürkheim?
Wir gehen davon aus, dass Elektrofahrzeuge im Jahr 2025 gemessen an unserem weltweiten Pkw-Absatz einen Anteil von 15 bis 25 Prozent ausmachen. Wir rechnen gleichzeitig mit einem insgesamt steigenden Absatz. Das heißt – in absoluten Zahlen betrachtet – erwarten wir noch viele Jahre lang keinen abnehmenden Bedarf bei den Verbrennungsmotoren. Erst ab etwa 2030 wird es möglicherweise einen Industriewandel geben. Und jedes Mal, wenn es in der Geschichte einen Industriewandel gab, wurden verschiedene Arten von Jobs ersetzt durch andere Arten von Jobs.
Gehen Sie davon aus, dass die neue elektrifizierte, digitale Autowelt bei Daimler mindestens genauso viele Beschäftigte benötigt wie es jetzt der Fall ist?
Das kann man nicht pauschal sagen. Aber da der Wandel nicht in den nächsten zwei Monaten passiert, haben wir noch genug Zeit, diesen positiv zu gestalten.
Wird Sindelfingen auch ein Elektromodell bekommen so wie Bremen, wo der erste Elektro-SUV gebaut wird?
Was ich dazu sagen kann, ist, dass unser weltweites Produktionsnetzwerk die neuen Elektroautos aufnehmen können muss, weil wir nicht wissen, wie schnell wir die Produktion bei den E-Autos hochfahren müssen. Wenn das schneller geht, muss es möglich sein, dass wir den Schieberegler zwischen E-Autos und Autos mit Verbrennungsmotor bewegen können.
Sie müssen jetzt in die bestehende und in die neue Mobilitätswelt investieren. Müssen Sie ihr Forschungs- und Entwicklungsbudget da nicht aufstocken?
Doch, das müssen wir, denn es gibt in der Tat viele zusätzliche Investitionen. Noch vor fünf Jahren haben wir wesentlich weniger in diesem Bereich ausgegeben. Aber wir steigern dadurch nicht zwingend die Quote unserer F&E-Ausgaben, da wir in der glücklichen Lage sind, auch Umsatz und Ergebnis zu steigern.