Die Klangreinheit der Kurtz-Glocken war sogar von höchster Stelle abgesegnet worden. 1925 intonierten sie als erste Stücke das Volkslied „Jetzt gang i ans Brünnele“, den „Hohenfriedberger Marsch“ von Friedrich dem Großen sowie „Guten Abend, gute Nacht“ von Johannes Brahms. Der berühmte Pianist Wilhelm Kempf, damals Leiter der Stuttgarter Musikhochschule, war damit beauftragt worden, diese Melodien für das Glockenspiel umzusetzen. „Er hat auch die ganzen Glocken bewertet, so hoch hat man das damals eingeschätzt“, sagt Hirschmann. Der Zweite Weltkrieg ließ dann, wie so vieles andere in Stuttgart, auch das Glockenspiel Geschichte werden. Sämtliche Glocken wurden 1942 zu Kriegszwecken eingeschmolzen, die Mechanik wurde durch einen Bombenangriff komplett zerstört. Nach dem Wiederaufbau des Rathauses hat man im Jahr 1955 die zweite Garnitur Glocken angeschafft. So richtig zur Geltung, findet Eckhart Hirschmann, kamen sie aber lange Zeit nicht.

 

Er engagierte sich von 2006 an für das Ensemble, bis es schließlich repariert und aufpoliert wurde: „Ich wollte unbedingt der Kulturstadt Stuttgart dieses Glockenspiel besser präsentieren und es aus seinem Dornröschenschlaf wecken.“ Die Stadtoberen wünschten sich von ihm vor allem schwäbische Volkslieder und Adventslieder zur Beschallung des Weihnachtsmarktes, Hirschmann hat dann die entsprechenden Noten für das Rieseninstrument geschrieben. „Ich habe jedes Stück einzeln angefasst und mit entsprechenden Versen notiert, immer mindestens drei Verse, und jeder in einer anderen Weise, zum Beispiel in einer anderen Tonart. So macht es Spaß, das anzuhören.“

Der „Vogelfänger“ in Stuttgart

Insgesamt 140 Minuten von ihm eingespielte Glockenspielmusik liegen jetzt auf dem Computer. Jeden Monat werden die Melodien geändert. „aus den 70 werden 12 herausgegriffen und die kommenden vier Wochen gespielt, immer zwei nacheinander“, sagt Hirschmann. Anders als in Esslingen, wo er 290 Melodien gespeichert hat, und allmonatlich ein Livekonzert gibt, erklingen vom Stuttgarter Rathausturm keine klassischen Melodien – was Hirschmann offensichtlich bedauert. Bei der Führung geht denn auch der musikalische Gaul mit ihm durch, mit Verve setzt er sich an den Spieltisch, und dann bekommen die Passanten unten auf dem Rathausplatz etwas auf die Ohren. „La Donna e mobile“ aus Rigoletto, eine Humoreske von Dvorák und den „Vogelfänger“ aus der Zauberflöte – dieses Glockenspiel könnte auch anders, wenn man es ließe!