Europas größte Krankenhauskette Helios schaffte schon im ersten Jahr nach dem Kauf in Rottweil einen Gewinn von 2,6 Millionen Euro. Ein Mirakel auf Kosten der Belegschaft? Ein Ortsbesuch in Rottweil.

Rottweil - Junge Leute haben gute Chancen beim Helios-Konzern. Betriebswirt Kristian Gäbler kam aus Siegburg und war 28, als er vor drei Jahren bei der Übernahme des Krankenhauses Rottweil durch Helios dessen Geschäftsführer wurde – in der Schicksalstunde. Jetzt eilt Kristian Gäbler – krawattenlos, im Anzug – übers Klinikgelände und versprüht Aufbruchstimmung: „Dort sehen Sie die frühere Rettungswache mit der Apotheke. Sie beliefert nun vier weitere Helios-Kliniken!“ Das seien Synergieeffekte. Hier die neue Cafeteria, dort die sanierte Geriatrie. „Sehen Sie mal, die warmen Farbtöne!“, ruft Gäbler. Im ersten Stock entsteht die neue Endoskopie, in der Intensivstation wird frisch gestrichen. Stolz schwingt mit in der Stimme von Kristian Gäbler. Die Ölheizung sei rausgeflogen, man heize nun mit Holzpellets, habe die Heizkosten um 50 Prozent gesenkt. Ach ja, eine Kita werde gebaut, die erste Ganztageseinrichtung für Rottweil. „So was gab’s hier gar nicht“, sagt Gäbler und lächelt.

 

Es ist, als ob im ehemaligen Kreiskrankenhaus von Rottweil der reiche Onkel aus Amerika angekommen wäre. Alles ist möglich. An allen Ecken und Kanten wird gehämmert und geschraubt. Helios ist eine Tochtergesellschaft des Dax-Konzerns Fresenius (20 Milliarden Umsatz) und mit 110 Krankenhäusern der größte Klinikbetreiber Europas. Rottweil ist für ihn ein kleiner Fisch. Binnen weniger Jahre wird Helios 25,5 Millionen Euro in die 275-Betten-Klinik stecken. Die maroden Seiten des Rottweiler Krankenhauses sind noch zu besichtigen: Zimmer ohne Nasszelle, aufplatzendes Plastik an Waschbecken, altmodische Betten ohne Elektrohub. Auch der Landkreis hat sich früher sehnlich eine Sanierung gewünscht, von nötigen zwölf Millionen Euro war die Rede, aber er hat die Kraft nie aufgebracht, kam nicht mal mit dem laufenden Betrieb klar. Die Kliniken Rottweil und Schramberg brachten Millionendefizite.

Über die medizinische Versorgung gibt es keine Klagen. Foto: dpa

Dann kam Helios, kaufte beide Kliniken unter der Bedingung, dass Schramberg geschlossen werde – gegen gewaltige Proteste. Darauf angesprochen senkt der so euphorische Kristian Gäbler die Stimme: „Es ist eine besondere Situation, ein Krankenhaus schließen zu müssen.“ Helios verordnete eine Rosskur: Insgesamt fielen 217 Stellen weg. Heute arbeiten 400 Mitarbeiter im Rottweiler Krankenhaus. Besonders beim Pflegepersonal war der Einschnitt krass: 32 Prozent der Stellen wurden gestrichen. Ja, das höre sich „extrem hoch an“, sagt der Geschäftsführer. Aber man müsse wissen, woher man komme, wohin man wolle: „Mit mehreren Millionen Minus waren wir doch in einer existenziellen Situation.“ Man habe Arbeitsbereiche zusammengelegt, Aufgaben verlagert, anders verteilt. So entlasten Service-Assistenten die Schwestern, machen Betten, füllen Materialschränke auf, teilen Essen aus.

Schon im ersten Jahr nach dem Kauf schaffte Helios in Rottweil einen Gewinn von 2,6 Millionen Euro. Ein Mirakel auf Kosten der Belegschaft?

Helios-Chef Francesco De Meo gibt keine Interviews

Die Personalkosten sind für Krankenhäuser ein immenser Posten. Ulf Mark Schneider, Vorstandsvorsitzender von Fresenius, hat in einem Interview der Zeitschrift „Euro“ gesagt, dass die Personalkostenquote von Krankenhäusern vor einer Privatisierung oft über 70 Prozent lägen, womit man nicht wirtschaftlich sein könne, bei Helios läge sie „knapp unter 60 Prozent“.

Das Krankenhaus in Schramberg musste geschlossen werden. Foto: dpa

Im Februar hatte das Bundeskartellamt einer Übernahme von 40 Krankenhäusern der Rhön-Kliniken durch Helios zugestimmt. Eine ungeheure Marktmacht ist da entstanden, und vielleicht treiben Tochter- und Mutterkonzern deshalb Understatement. Fresenius residiert in einer bescheidenen Verwaltungszentrale in Bad Homburg, Helios auf zwei Büroetagen in einem Glaspalast an der Spree in Berlin. Dort hält sich Helios-Chef Francesco De Meo bedeckt, gibt keine Interviews, obwohl er in der Helios-Hauspostille einen „gesunden Dialog“ mit allen Kritikern einfordert und leise Klage führt über ein negatives Medienecho. Die Machtfülle weckt Ängste, ruft Nörgler oder Neider auf den Plan, selbst in der braven „Apotheken Umschau“ fand sich kürzlich die kritische Wortmeldung eines Gesundheitsprofessors. Skepsis wecken die hohen Rendite-Erwartungen bei Helios: Im Jahr eins nach einer Übernahme zwei Prozent Gewinn vor Steuern, im zweiten Jahr vier Prozent, dann ansteigend auf bis zu 12 bis 15 Prozent im sechsten Jahr. Wie ist das zu schaffen?

Helios habe „riesige Vorteile im Einkauf“, sagt Niko Stumpfögger, Verdi-Gewerkschaftssekretär und Mitglied im Aufsichtsrat von Helios. Aber das Wundermittel zur Kostensenkung ist ihm zufolge „die Ausdünnung der Fachkräfte im Pflegebereich“. Was sich an Dienstleistungen ausgliedern lasse, werde extern vergeben, zum Teil an Helios-eigene Firmen, die sich Konkurrenz machen und wegen befristeter Verträge unter Druck stünden. Das ARD-Magazin „Konkret“ brachte 2012 das Beispiel der Helios-Klinik Schwerin, wo für Stationshelferinnen die Bruttolöhne von 11,20 Euro auf 6,50 Euro gesenkt worden sei: Lohndumping. Der für Baden-Württemberg zuständige Verdi-Sekretär Kai Schumann kann im Südwesten allerdings keine Lohndrückerei erkennen, was an den relativ kleinen Kliniken hier, einer besseren Integration der Serviceunternehmer in den Häusern und der guten Arbeitsmarktlage liegen könne.

Der Fresenius-Konzern steht hinter den Helios-Kliniken. Foto: FRESENIUS

Bei anderen löst die Größe von Helios Unbehagen aus. Rudolf Kösters war viele Jahre Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft und kann sich einen zurückgelehnten Blick erlauben. Er hat den Siegeszug der privaten Kliniken miterlebt, wie sie ihren Marktanteil steigerten, und er wundert sich, wo eigentlich freigemeinnützige und öffentliche Träger gewesen seien, als es um den Verkauf der Rhönkliniken ging – unsichtbar! Kösters attestiert den Helios-Kliniken, dass sie sehr früh mit Qualitätssicherung angefangen hätten. Er will nicht ausschließen, dass die Gruppe erfolgreich sein wird – für Patienten und Aktionäre – und dennoch ist er skeptisch. Krankenhäuser seien personalintensive Unternehmen, da müsse die Führung überschaubar bleiben. „Sie müssen den direkten Draht zu Geschäftsführern, Chefärzten und Pflegedirektoren haben. Es reicht nicht, Controller und Rechercheteams zu schicken.“ Es werde schwierig, sagt Kösters, lokale Besonderheiten wie das Ausgebranntsein von Personal in der Zentrale zu erfassen. Er sieht die Grenze für einen Klinikkonzern bei 30 bis 35 Häusern, mehr sei nicht sinnvoll. In den USA habe es in den 80ern den Trend zu riesigen Klinikketten gegeben und danach eine Gegenbewegung unzufriedener Chefärzte, die kleinere Klinikverbünde gründeten.

Nicht zwingende Behandlungen vorgenommen

Zurück nach Rottweil, dort scheint die Welt in Ordnung zu sein. Auf dem Flur ein Treffen mit Pia Brüggemann (51), mit Leib und Seele Krankenschwester. Sie trägt die weiße Helios-Uniform mit dem grünen Winkel. Die „anfänglichen Ängste“ vor Helios seien unbegründet gewesen, sagt sie. „Ich schaffe in einem guten Team und fühle mich wohl.“ Man müsse lernen, „Ressourcen zu schaffen“, habe mehr Freiheit, sich die Arbeit einzuteilen. Das Gehalt ist geblieben. Helios hat den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst weitergeführt. Von einer erhöhten Arbeitsdichte und „anderen Strukturen“ spricht der Betriebsrat und Krankenpfleger Manfred Ordowski (60). Anfangs sei die Atmosphäre angespannt gewesen, aber die Verunsicherung sei gewichen, das Klima in der Belegschaft werde besser.

Günther Fuchs, Chefarzt für Chirurgie, sieht die Privatisierung positiv, die gewünschte Spezialisierung – die man beim Kreistag vergeblich angemahnt habe – sei durch die Schaffung neuer Chefarztstellen prompt verwirklicht worden. „Und wenn ich ein neues Ultraschallgerät brauche, dauert das 14 Tage. Früher habe ich zwei Jahre gewartet.“ Dass die Privatliquidation von Helios gestrichen wurde, sieht Fuchs als Vorteil: Man solle sich nichts vormachen, die private Abrechnung habe einige Kollegen dazu verführt, mal Behandlungen vorzunehmen, „die nicht unbedingt zwingend waren“. Er habe da nie mitgemacht und daher im Vergleich eher weniger verdient. Das sei unter Helios besser.

Aber natürlich steuert Berlin auch die Geschicke in Rottweil, obgleich Marcus Sommer (40), Helios-Regionalgeschäftsführer für Baden-Württemberg und eigentlich ständig unterwegs, betont, dass die wichtigen Entscheidungen vor Ort getroffen werden: „Wir entscheiden dezentral, da funkt uns niemand rein.“ Der „Druck“, ergänzt Chefarzt Fuchs, der komme über die Qualität. Zweimal im Jahr treffen sich 24 Fachgruppen – etwa Chirurgie-Chefärzte – in Berlin und legen Leitlinien fest: welche Medizinprodukte sie kaufen wollen, wo Qualitätsstandards liegen. Da wird etwa festgelegt, man wolle Gallenoperationen zu 90 Prozent minimalinvasiv machen der guten Erfolge wegen. Bundesweit liegen diese Eingriffe bei 80 bis 85 Prozent. Er könne die 90 Prozent unterschreiten, sagt Fuchs, wenn er nachvollziehbare Gründe nenne. So sei es im Schwarzwald oft der Fall, dass Galle-Patienten unter Schmerzen abwarten und spät in die Klinik gingen. Dann rate er als Arzt zum „großen Schnitt“. So begründe er dann, „dass wir die Vorgabe nicht einhalten“. Mit Helios ist die Zahl der Patienten gestiegen, deren Verweildauer ist um einen halben Tag gesenkt worden.

Am Ende des Rundgangs trifft Klinikchef Gäbler in der Klinikkapelle eine Ordensschwester – einige Nonnen der Marienstädter Schwestern wohnen noch im Krankenhaus. Selbstverständlich hängen Kruzifixe in den Zimmern. Die Nonne trägt ihr Ordenstracht ohne Helios-Wimpel, und Geschäftsführer Gäbler sagt einen netten, sehr unökonomischen Satz: „Sie sind die gute Seele des Hauses!“