E-Mails, Updates und Tweets – die Informationsflut kann einem schon mal zu viel werden. Aber ist Abschalten der richtige Weg?  

Stuttgart - Der Sänger Prince vertreibt sein neues Album nicht im Internet, auf eine offizielle Website verzichtet er. Das Album lag dafür einer britischen Tageszeitung und einer deutschen Musikzeitung bei. Der Cartoonist James Sturm beschreibt in einem Online-Magazin in den zehn Kolumnen Life without Web seinen Versuch, aus dem Netz auszusteigen. Die beiden haben sich bewusst gegen das Internet entschieden. Ein wichtiger Trend in Zeiten der anschwellenden Informationsflut - oder nur ein Experiment?

 

Laut einer aktuellen Studie des IT-Branchenverbands Bitkom fühlt sich jeder dritte Internetnutzer häufig mit der Informationsflut überfordert, bei weiteren 30 Prozent ist dies manchmal der Fall. Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer hat den Eindruck, dass sich "offenkundig zahlreiche Menschen von Nachrichten und Medienvielfalt überfordert fühlen, vor allem Ältere". "Wir müssen als Gesellschaft lernen, mit der Nachrichtenflut besser umzugehen."

Das bewusste Offline-Gehen hat nach Auffassung der Trendforscherin Janine Seitz experimentellen Charakter: Wie komme ich ohne Facebook klar? Erreiche ich Freunde und berufliche Kontakte auch ohne E-Mail und Chat? Seitz glaubt, dass ein temporärer Ausstieg aus dem Digitalen dazu beitragen kann, eine eigene Strategie zu entwickeln, die einen produktiven Umgang mit der digitalen Welt ermöglicht. Die jüngere Generation, die mit dem Internet groß geworden ist, bewege sich mit einer faszinierenden Leichtigkeit zwischen TV, Chat, Telefon und SMS: "Sie probieren sich aus, testen, was alles möglich ist im Netz, haben keine Angst, auch mal zu scheitern oder die Kontrolle zu verlieren."

Die Suche nach dem Bekannten

Janine Seitz ist für das Zukunftsinstitut gemeinsam mit ihrem Co-Autor Andreas Haderlein "Schlüsseltrends des digitalen Wandels" nachgegangen. Sie kommt zu dem Schluss: "Die Zahl derer, die sich bewusst aus dem Internet zurückziehen, ist verschwindend gering und wird auch in Zukunft nicht ansteigen." Es gibt neben dem radikalen Ausstieg auch andere Arten, mit dem Informationsüberfluss umzugehen. Eine Strategie besteht darin, bereits Bekanntes im Netz zu suchen. Studien haben bereits mehrfach gezeigt, dass die meisten Nutzer auf die Informationsquellen wie Online-Zeitungen oder Online-Fernsehsendern zugreifen, die sie bereits aus der analogen Welt kennen. "Ein überschaubares, bekanntes Informationsangebot dämmt die Informationsflut von vornherein ein."

Die Strategien des Einzelnen bestehen laut Seitz zurzeit außerdem darin, die Informationen bewusst zu selektieren und auf ihre Bedeutung und Relevanz hin einzuordnen: "Das heißt auch, bestimmte Daten als unwichtigen Datenmüll links liegen zu lassen und bewusst auf das Internet in bestimmten Situationen zu verzichten." Es gibt bereits Internetdienste, die Nutzer dabei unterstützen: Das soziale Netzwerk Path will zum Beispiel das wahllose Sammeln von "Freunden" unterbinden: Die Anzahl der Kontakte ist auf 50 beschränkt. Hintergrund: Psychologen haben festgestellt, dass jeder Mensch mit maximal 50 Personen soziale Kontakte pflegt, davon sind fünf enge Freunde.

Seitz setzt zudem auf die Kreativität der Geräte- und Softwareentwickler. Auch wenn die Speicherleistung besser wird und ein Zugriff auf das Internet von überall auf der Welt möglich ist, müsse die Komplexität nicht immer weiter steigen. Als Beispiel führt Seitz Handys an: So wurden die Mobiltelefone in den ersten Jahren ihrer Entwicklung zwar immer komplexer, aber letztlich konnte sich das iPhone mit seiner intuitiven Bedienoberfläche durchsetzen.

"Informationsfülle ist keine Bedrohung"

Inzwischen werden immer mehr Dienstleistungen und Produkte entwickelt, um der Informationsüberflutung vorzubeugen. Dazu zählen Kollaborationsplattformen in Unternehmen, um von der E-Mail-Flut wegzukommen, Reputationsmanagementdienste, um die Online-Identität wieder aufzupolieren, und individualisierte Zeitungsangebote. Das Software-Entwicklungsunternehmen Atos Origin etwa will soziale Software derart in Unternehmen integrieren, dass die Mitarbeiter auf E-Mails komplett verzichten können.

Ein effektiver und produktiver Umgang mit der Informationsfülle ist für Janine Seitz eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre. Ihr müssen sich nicht nur einzelne Menschen stellen, sondern auch Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht in einem Zustand der Jederzeit-Erreichbarkeit halten können. Die Bitkom-Studie zeigte, dass fast jeder dritte Berufstätige über seine eigentliche Arbeitszeit hinaus erreichbar sein muss. Thomas Sattelberger, Personalchef der Deutschen Telekom, forderte kürzlich, dass sich Mitarbeiter bewusst Auszeiten gönnen müssten.

"Die Strategien, die zur Bewältigung der Informationsflut entwickelt werden, sind kulturelle Adaptionsprozesse des Menschen, die mit der technischen Entwicklung einhergehen", sagt die Trendforscherin Seitz. Das Internet durchdringe alle Bereiche des Lebens - daher bezweifelt sie auch, dass viele Menschen komplett aus dem Netz aussteigen werden. Der Mensch werde lernen, die Informationsfülle nicht mehr als Bedrohung zu sehen, sondern als Bereicherung. Und am Ende komme es, so die Zukunftsforscherin, zu einem Paradox: "Nie waren wir besser informiert, nie konnten wir aus mehr Quellen schöpfen. Das Internet wird in Zukunft verschwinden, weil es überall ist."

Leseprobe des Buchs von Andreas Haderlein und Janine Seitz

Ältere sind eher überfordert

Umfrage: Laut einer Forsa-Studie im Auftrag des IT-Branchenverbands Bitkom sind die Deutschen durchschnittlich 100 Minuten am Tag im Netz. 75 Prozent können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen. 29 Prozent der Berufstätigen sind auch außerhalb der Bürozeiten erreichbar, 55 Prozent planen aber gelegentlich oder gar oft internetfreie Tage ein.

Alter: Im Durchschnitt fühlen sich 31 Prozent der Befragten oft von Informationen überflutet. In der Altersgruppe über 65 Jahre sind es mit 39 Prozent deutlich mehr; in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen sind es nur 14 Prozent.