Adele ist jetzt endgültig erwachsen, trauert auf „25“ der eigenen Jugend noch ein wenig hinterher, hat aber eigentlich keine Zeit dazu. Eine kleine Hymne auf ein ziemlich großes Album.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Irgendwo in München zieht am Donnerstagabend entgegen allen Geschäftsregeln, die den Verkauf erst am Freitag erlauben, ein freundlicher Mensch in einem Plattenladen eine große Schublade auf, gibt einem ein Exemplar von Adeles neuer CD „25“ und sagt: „Von mir haben Sie’s nicht!“ Und so sitzt man da, hört und hört, Menschen kommen, Menschen gehen, bis der Letzte das Licht ausmacht. Zwanzig Uhr, Straßendunkel, Regenschauer. Der Tag mündet in den Abend, und eine muss jetzt das Gutenachtlied singen: Das ist Adele Adkins, 27, seit drei Jahren Mutter eines Sohnes, was das Leben bekanntermaßen ändert. Ganze Mauern stürzen ein, jedenfalls heißt es so in Adeles letzem Lied auf „25“, von Kinderstimmen ummurmelt, „Sweetest Devotion“. Was ist passiert? „You teared down my Wall“, singt Adele – und dass sie jetzt klarer sehe: Denk es , o Seele. In der Art. Hingegeben ist man stumm.

 

„19“, „21“, „25“ heißen die Alben von Adele. Zwei Jahre hat es gedauert, bis das neueste fertig geworden ist. Vier Jahre sind vergangen, seit „21“ so ziemlich alle Rekorde in der Geschäftswelt des Pop gebrochen hat, und es waren eine Menge für einen einzigen Menschen und für ein Mädchen aus Tottenham: dreißig Millionen Mal wurde „21“ weltweit verkauft, in dreißig Ländern war es Nummer eins. Das Magazin „Billboard“ ordnete „21“ im Jahr 2011 und dann, unvermeidlicherweise, auch im Jahr 2012 als „Album des Jahres“ ein. Adele sammelte weltweit Preise wie Bonbons auf Rosenmontagszügen, und als sie nach „21“ noch einmal, ein einziges Mal noch, den Mund aufmachte, um dramatisch sirenenhaft den Titelsong des James-Bond-Films „Skyfall“ zu singen, hielt die halbe Welt wieder den Atem an. Dann kam noch ein Oscar, eine Stimmbandoperation, folglich lange nichts mehr. Oder doch: ein neuer Mann. Schließlich, wie gesagt, das Kind, Angelo. Und nun?

Hallo, ich bin’s

Und nun sagt Adele einfach „Hello, it’s me“, dann aber sofort, um nur ja keine Zeit zu verlieren – die Zeit, das werden wir noch lernen auf „25“, ist kostbar und ein wundersam’ Ding – dass man doch kurz einen Blick zurückwerfen solle: „I was wondering if after all these Years . . .“ Das Lied ist seit Wochen als Teaser auf dem Markt, keiner ist unvorbereitet, und man will es dann schon auch genau wissen: ob die Wunden geschlossen sind, die auf „21“ alle noch offen waren. Eindeutige Antwort: ja, vernarbt, ist schon gut – was aber nicht heißt, dass Adele, gesegnet mit dieser einzigartigen, jetzt irgendwie noch tieferen R-’n’-B-Stimme, gleich einem Klumpen warmer, weicher Erde, in der es rumort, abgeschlossen hätte mit der Vergangenheit. Aber teilweise: „Send my Love (to your new Lover)“ heißt das, gesungen aus von einem Felsen wohl, jedenfalls felsenfest, versehen mit einem höhnischen „Huh“ vor der Endsilbe von „Lover“ und einer zackigen Aufforderung: „Treat her better.“ Das ist es dann aber auch, im Einzelfall.

Andererseits bleibt die Vergangenheit als Vergangenheit, die viel zu schnell vergangen ist, ein Thema, das „25“ durchzieht. Man hört Adele also erwachsen werden, vernimmt auch, dass sie das so wollte und will, kann aber nicht überhören, dass da auch Restschmerz mitschwingt. Dazu reichen eine Gitarre, eine Handvoll Akkorde, wie immer schwer Moll-lastig, und eine zweite Adele, die mitsummt, wenn die erste Adele singt. Dass das Leben eine einzige Party war, sei lange her, heißt es dann in „Million Years ago“. Oder, an anderer Stelle, „wir sind keine Kinder mehr“. Nein, wir haben welche. Sie hat eins. Nun gibt es ja durchaus Gründe, angeblich Erwachsenen unter den Popmusikerinnen ein bisschen zu misstrauen, wenn man zum Beispiel an Madonna denkt, die auf „Ray of Light“ (Lichtjahre her) zwar vordergründig – und auch sehr hübsch – als Mamamadonna auftrat („Little Star“), um zugleich daran zu arbeiten, ja Madonna zu bleiben: für immer jung und männermordend. Bis heute.

Das ist Adeles Problem ausdrücklich nicht. Im Gegenteil. Altern als Problem für Künstler, wie Gottfried Benn das in einem berühmten Aufsatz nannte, ist ein Thema, das sie jetzt schon mit Mitte/Ende zwanzig besetzt, womöglich ein bisschen vor der Zeit. Im Gegenzug: Leute, die nicht alt werden können, gibt es in diesem Business eh genug. Im Übrigen lässt Adele in und zwischen den Zeilen keinen Zweifel: das Beste kommt noch.

Musik auf höchstem Niveau

Musikstilistisch hält sie sich auf höchstem Niveau die Türen in alle Richtungen weit offen, was nicht wenig damit zu tun hat, dass sich die Produzenten mit allesamt wohlklingenden Namen die Klinken konsequent in die Hand geben: jeden Song ist ein anderer dran. Greg Kurstin und Max Martin sind dabei – und selbst Danger Mouse hat seinen Anteil, lässt die Kirchenorgel mächtig auffahren, und das ist eine sehr gospelige Messe wert. Es gibt, natürlich, die Streichermacht, aber eigentlich nur einmal richtig, blühende Hammond-sounds und ordentlich Septen und Rückungen, mal zurückhaltend, mal prunkend abgemischt. Vordergründig bleibt die Stimmung leicht elegisch und Gänsehautschauer produzierend („When we were young“), zwischendurch darf aber mittlerweile auch ruhig die Straße zu hören sein. Es ist nicht mehr nur Adeles innere Seelenwelt, die hier verhandelt wird, es kommt langsam die ganze Welt rein ins Gefüge, und man darf wirklich gespannt sein (und ist es schon), ob die Kunst die große Künstlerin Adele Adkins bald restlos an die Wirklichkeit verliert – oder ob Adele der Kunst weiterhin die Freude macht, richtig Leben in sie hineinzupumpen. Denn das tut sie.

Kleine Pose oder menschliche Geste: dem „Observer“ hat Adele gesagt, dass sie sich die letzten Monate über gefühlt habe wie in der Aufführung einer Schülertheatergruppe. Kurz vor Schluss: du hast alles gegeben, du bist durch, es ist vorbei. Der Vorhang schließt sich. Werden die Leute klatschen, am Ende wie früher mal? Werden sie überhaupt klatschen? Für ein paar Sekunden ist es still. Dann aber: Applaus. Lang anhaltend. Danke, Adele!