Die Zeitschrift Wired erscheint ab sofort zehn Mal im Jahr. Digital beginnt mit der Neukonzeption ebenfalls eine andere Ära. Unsere Kollegin Ricarda Stiller hat sich das neue Exemplar mal genauer angeschaut.

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Berlin - Jetzt aber: nach fünf zögerlichen Testläufen seit dem Jahr 2011, startet die deutsche Ausgabe von Wired nun endlich durch. Seit Dienstag ist die Zeitschrift für Technologie, Digitalkultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Design am Kiosk erhältlich. In den USA existiert das Kult-Magazin seit 1993. Von nun an soll das deutsche Heft in einer Auflage von 120 000 zehn mal im Jahr erscheinen. Der Wired-Chefredakteur Nikolaus Röttger, der zuvor bei der Financial Times Deutschland als Redakteur und Kolumnist tätig war und später die Zeitschrift Business Punk entwickelte und leitete sagt: „Der digitale Wandel und die daraus resultierenden Innovationen betreffen längst alle Lebensbereiche.“ Man verstehe Wired daher als ein General-Interest-Medium, das Informations- und Orientierungsquelle für alle sei. Globale Innovationsthemen wolle man aus deutscher Perspektive beleuchten und hinterfragen.

 

Röttgers Motto lautet: „Zukunft ist Einstellungssache.“ Als Zielgruppe stellt sich das Redaktionsteam die „Generation Why Not“ vor. Dabei soll es sich um eine „reflektierte, urbane Gruppe handeln, die Innovationen gegenüber aufgeschlossen ist, gestalten will und Etabliertes hinterfragt“. Und weil diese Zielgruppe ohnehin hauptsächlich via Smartphone oder Tablet-Computer Medien nutzt, lautet das Vertriebsmodell neben dem Einzelverkauf (4,50 Euro) am Kiosk „Membership Wired +“.

Das Abonnement heißt also Mitgliedschaft, was der Zielgruppe gut gefallen dürfte. Und als Wired+-Mitglied erhält man für 45 Euro im Jahr neben den zehn gedruckten Ausgaben auch Zugang zu Multimedia-Reportagen und aktuellen Hintergrundartikeln, die man als Wired-Mitglied an Freunde gezielt verschenken darf. Ob dieses Marketingkonzept aufgeht, wird sich zeigen. Dass die Inhalte plattformübergreifend – also vom Papier über den Tablet oder das Smartphone – zum Einheitspreis verfügbar sind, scheint ein zeitgemäßer und zukunftsfähiger Schachzug.

Gadgets, Skills und Geeks

Aber jetzt zum Inhalt. Was für Geschichten bietet das 140-Seiten-Heft? Sprachlich wünscht man sich als digitaler Immigrant, das sind die Über-Vierzigjährigen, die zunächst ein ziemlich analoges Leben geführt haben, sicherlich weniger Begriffe wie „Gadgets, Skills, Geeks“ oder Überschriften wie „High im Berg“ oder „Valley of the LOLs“. Da sich das Heft aber in erster Linie an diejenigen richtet, die mit Internet, Smartphone, Whats-App und Facebook aufgewachsen sind, kann man davon ausgehen, dass die Leserschaft sich daran nicht oder zumindest weniger stören wird.

Einen prominenten Interviewpartner haben sich der Chefredakteur Nikolaus Röttger und der Redaktionsleiter Joachim Hentschel für das erste Heft ausgesucht. Mit Eric Schmidt, dem Vorsitzenden des Google-Verwaltungsrates, haben sie über „die Macht des Neuen, die Wucht von Erfindungen und die Zukunft deutscher Start-Ups“ gesprochen, als dieser im Sommer in Berlin war, um die „Startup-Factory“ einzuweihen. Schmidts wichtigster Rat lautet: „Umgebt euch mit jungen Leuten. Hört ihnen zu. Lernt von ihnen.“

Eric Schmidt sieht nur eine Möglichkeit, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Er sagt: „Die einzige Lösung sind die Start-Ups. Ich sehe derzeit keine großen Unternehmen, die in Zukunft noch viele Leute einstellen werden.“ Aus seiner langjährigen Erfahrung – er spricht von drei, vier Zyklen, die er in der Branche erlebt habe – glaubt Eric Schmidt folgende Prognose ableiten zu können: „Was auch geschieht, es wird in Berlin passieren. Das Problem ist allerdings, dass es in der Stadt nicht genug Geld für Start-Ups gibt.“ Dass sich Wired als Redaktionssitz Berlin-Mitte ausgesucht hat, ist selbstverständlich kein Zufall.

Ist das alles noch zeitgemäß

Das Titelthema der aktuellen November-Ausgabe lautet „Die Zukunft des Ich“. Spätestens bei der Lektüre dieses Themenschwerpunktes wird klar: man wünscht sich auch weiterhin gedruckte Hefte. Zu komplex und nachlesenswert sind viele der Gedanken, die im einleitenden Text über die Grenze oder eben Nicht-Grenze zwischen analogem und digitalem Ich stehen. Hinter der Überschrift „Avatare fürs Leben“ und der Unterzeile „Wer bin ich – und wenn ja, wie viel Megabyte?“ verbirgt sich der wohl lesenswerteste Artikel der deutschen Neuauflage von Wired.

Hier wird thematisiert, was so viele von uns umtreibt. Bleibe ich sozialen Netzwerken tatsächlich dauerhaft fern, um meine Privatsphäre zu schützen? Ist dies noch zeitgemäß? Oder höre ich auf, als soziales Wesen zu existieren, wenn ich mich dem Digitalen komplett verweigere? Beschrieben wird unter anderem das Experiment eines US-amerikanischen Künstlers, der im Jahr 2013 versucht hat, ein nicht identifizierbares Internet-Ich zu konstruieren, aus dem keinerlei Rückschlüsse auf die wahre Identität zu finden waren. Eine im Alltag nicht durchzuhaltende Herangehensweise, wie der Künstler Curtis Wallen feststellt. Auch wenn Datenschützer sich es wünschten.

Dass die Frage nach dem Ich nicht erst seit Facebook, Twitter oder Instagram existiert, ist bekannt. „Vielleicht aber wird uns die Spaltung zwischen dem sozial konstruierten, öffentlichen Ich und dem Ich, das sich als Subjekt wahrnimmt, erst durch die Facebook-Timeline bewusst“, wird der amerikanische Philosoph Patrick Stokes in der Titelgeschichte zitiert. Und vielleicht wird es Wired sein, die Zeitschrift, die uns parallel auf vielen Kanälen erreichen wird, die uns in den nächsten vielen Jahren im Umgang mit dem Digitalen reflektierter, bewusster und entspannter werden lässt.