Inzwischen setzen auch etablierte Firmen auf das Prinzip der Pop-up-Stores: Temporäre Läden, die bestenfalls den Charme des Unfertigen versprühen. Jüngstes, sehr professionelles Beispiel in Stuttgart ist der Thonet-Store in der Hospitalstraße.

Stuttgart - Fast zweihundert Jahre alt und ganz aktuell. Der hessische Möbelhersteller Thonet, 1819 gegründet, hat vor Kurzem einen Pop-up-Store in Stuttgart eröffnet und zeigt damit: Hey, wir sind zwar ein traditioneller Familienbetrieb, aber total jung geblieben. Pop-up-Stores, das sind temporäre Läden, die – plop! – in zuvor ganz anders genutzten Räumen eröffnen und nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten wieder schließen. So funktioniert es auch beim jüngsten Pop-up-Store in der Stadt: Die 1/4 Vinoteck aus Owen (Kreis Esslingen) macht einen vierwöchigen Ausflug ins Stuttgarter Bohnenviertel. In einem ehemaligen Bäckerei-Café an der Lorenzstaffel 8 werden bis zum 31. August Wein, Feinkost und Spirituosen verkauft.

 

Das Prinzip ist einfach: Was schwer zu kriegen ist, will man erst recht haben. Das weckt den Jagdinstinkt. Im Fall der Pop-up-Stores ist es die Zeit, die limitiert ist. Besonders glaubwürdig wirkt es, wenn die Fläche industriellen Charme hat, also abgenutzt wirkt. Für junge Künstler und Designer ist der temporäre Verkauf eine gute Möglichkeit, ihre Produkte anzubieten, da sie meistens keine Miete für das leer stehende Objekt zahlen müssen. Zumindest war das lange so.

Inzwischen entdecken immer mehr große, etablierte Firmen das Guerilla-Läden-Prinzip für sich als neue Marketingstrategie. Der provisorische Look ist dann nicht zwangsläufig, sondern von Innenarchitekten konzipiert. Als Vorreiter gilt die japanische Modemarke Comme de Garçons, die 2004 in einer ehemaligen Bertolt-Brecht-Buchhandlung in Berlin-Mitte einen Laden eröffnete. Hippe Kleidung und Parfumflakons waren zwischen alten Sesseln und Regalen drapiert.

Boden aus Spanplatten vermitteln Werkstattflair

Auch hinter Thonet in Stuttgart steckt viel Professionalität. Der Laden befindet sich an der Hospitalstraße 27, wo nach wie vor das Geschäft G+B Objekteinrichtungen firmiert. Der Inhaber und Innenarchitekt Hans Werner Gessner hat sein Mobiliar einlagern lassen und einen Boden aus Spanplatten reingelegt, weil dieser den Anschein des Unfertigseins vermittelt. Eine Innenarchitektin von Thonet hat die berühmten Bugholz-Stühle und andere Möbelstücke platziert, die hier teilweise in neuen Farben präsentiert werden. „In den Pop-up-Stores wollen wir nicht nur unsere Klassiker zeigen, sondern auch die neuen Sachen“, sagt Peter Thonet, der das Unternehmen in fünfter Generation führt und zur Eröffnung nach Stuttgart gekommen ist. Für ein halbes Jahr soll der Shop bestehen.

Dass aus Pop-up etwas Längerfristiges werden kann, dafür ist das Fluxus in der Calwer Passage ein gutes Beispiel. Ursprünglich war das Fluxus auf drei Monate beschränkt, inzwischen hat sich das Konzept etabliert, wobei Wechsel in den einzelnen Läden möglich und sogar gewünscht sind. Aber schon vor diesem Überraschungserfolg in der Innenstadt gab es in Stuttgart erfolgreiche Zwischennutzung. Vorreiter waren die Designerinnen und Künstlerinnen Katja Waibl, Kathrin Großmann und Manuela Dörr mit ihrer Idee von „der Laden“. Immer nur für wenige Monate haben sie ihre Sachen in leer stehenden Räumen präsentiert und verkauft. Sie waren schon im Westen (in einem ehemaligen Wohnzimmer), im Bohnenviertel (Hausaufgabenbetreuung), im Osten (Bastelladen), im Süden (Supermarkt) und in Sillenbuch (unsaniertes Abbruchhaus). Immer waren die drei Macherinnen bemüht, sich den Gegebenheiten anzupassen und zum Beispiel die alten Möbel der Vormieter zu integrieren. Seit Mai ist „der Laden“ so zentral wie nie: an der Ecke Stein-/Nadlerstraße, wo zuvor ein Laden für Tinte und Druckerpatronen war.

Selbst Daimler und Apple setzen auf das Prinzip

Je kürzer der Pop-up-Store öffnet, desto höher ist meistens der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag, der am Ende steht. Ein extremes Beispiel dafür sind Katrin Sikora und Elisabeth Golubkow, die drei Monate lang geplant haben, um ihren Second-Hand-Pop-up-Store Trade-S zu betreiben – für ein Wochenende. „Es war unglaublich viel Arbeit, man muss mit hundert Prozent dabei sein, aber es hat auch wahnsinnig viel Spaß gemacht“, sagt Katrin Sikora. „Unser Pop-up-Store war so eine Art Stammtischidee, wir hatten Lust, uns mit Mode zu beschäftigen“, erzählt sie. Von der großen Resonanz war sie überrascht. „Ich glaube, die Einmaligkeit, die ein solcher Laden bringt, passt zum neuen Konsumentenverhalten.“

Andreas Kaapke kann das sogar wissenschaftlich untermauern. Den Wirtschaftsprofessor an der Dualen Hochschule Stuttgart interessiert dabei vor allem die unternehmerische Überlegung, die dahinter steckt, denn auch Daimler und Apple würden inzwischen auf das Konzept setzen, so Kaapke. Damit steigerten die Firmen die Exklusivität der im Store angebotenen Produkte. Dahinter stecke der „Jetzt oder nie“-Gedanke. Auch könne man mit den kurzzeitigen Läden Markttests durchführen und neue Standorte testen. Wie professionell der Markt inzwischen ist, zeigt ein weiteres Geschäftsmodell: Es gibt bereits Firmen, die einen bei der Suche nach einem Ort für einen Pop-up-Store beraten. Die Berliner Agentur Go-Pop-up hat derzeit fünf Optionen für Stuttgart im Angebot.