Fast alle Haushalte in Deutschland haben Zugang zu einem Breitbandanschluss – das ist die gute Nachricht. Doch wenn es um die erreichten Geschwindigkeiten und das Entwicklungspotenzial geht, hinkt Deutschland hinterher.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Angeblich ist die Versorgung des Neubaugebiets in Ostfildern exzellent. Wer auf der Webseite der Deutschen Telekom die Adressen eintippt, erhält die frohe Botschaft, dass eine Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit (50 Millionen Dateneinheiten) je Sekunde möglich ist. Dies erlaubt datenintensive Angebote wie das Internetfernsehen. Doch für einige Wohnblocks im Stadtteil Scharnhauser Park steht das nur auf dem Papier. In einem Reihenhausgebiet fehlen nach Angaben eines mit den Verhältnissen vertrauten Technikers ein paar Meter Kabel zur nächsten Verteilstation. Die Telekom hat sich diese kleine Investition gespart. Den so abgehängten Kunden, die mit höchstens zwei Megabit je Sekunde versorgt werden können, verschafft das ruckelnde Videos und lange Ladezeiten, vor allem wenn mehrere Computer gleichzeitig im Netz sind. Nur wer einen TV-Kabelanschluss besitzt, hat eine Alternative.

 

Doch genau dieser Kabelanbieter sorgt ein paar Kilometer entfernt, im Stuttgarter Westen, für lange Gesichter. In der Seyfferstraße haben drei Mitglieder einer Wohngemeinschaft, die das Netz auch beruflich nützen, im Juli bei KabelBW einen Anschluss mit 50 Megabit je Sekunde bestellt – und wurden enttäuscht: Videos laufen nicht richtig, und wenn mehrere Nutzer eingeloggt sind, kommen die Daten nur im Schneckentempo an. Im besten Fall war der Anschluss halb so schnell wie bestellt – häufig erreichte er nur gut ein Zwanzigstel der zugesagten Geschwindigkeit. Das haben Messungen mithilfe von Webseiten ergeben, auf denen Internetnutzer ihren Anschluss testen können. Das einzige Prüfprogramm, das hartnäckig behauptet, dass alles bestens sei, ist die Tempoanzeige, die Kabel-BW selbst anbietet. Nun streiten die Nutzer um die außerordentliche Kündigung, die das Unternehmen offeriert, wenn der Anschluss langsamer ist als versprochen.

Beim Thema Breitband-Infrastruktur klaffen in Deutschland Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Es gibt durchaus Lichtblicke: Beim Ausbau des schnellen mobilen Internetstandards LTE ist Deutschland beispielsweise relativ gut vorangekommen. Im Sommer hat das Computermagazin „Connect“ bei einem Test den meisten Breitbandanbietern für die Netzqualität gute oder sehr gute Noten erteilt. Auch die Statistik der Bundesregierung suggeriert, dass Deutschland ein exzellent versorgtes Land ist. 99,7 Prozent der deutschen Haushalte, so meldete das Bundeswirtschaftsministerium im Sommer, hätten potenziell Zugang zum Breitbandnetz. Doch die Übertragungsgeschwindigkeit von einem Megabit je Sekunde, die hier zu Grunde gelegt wird, reicht kaum für Internetvideos, geschweige denn für eine hochauflösende Bildqualität. Zugang zu Geschwindigkeiten von 50 MBit/s hatten Ende 2012 nur 54,8 Prozent der Haushalte. 2009 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrem Besuch auf der Computermesse Cebit versprochen, dass bis 2014 Dreiviertel aller deutschen Haushalte einen solchen Anschluss besitzen sollten. Diese Messlatte wird Deutschland reißen. Der Netzausbau geht langsamer voran als in anderen Ländern.

Viele Nutzer erreichen nicht das Tempo, für das sie bezahlen

Viele Internetkunden erreichen, wie eingangs beschrieben, zudem nicht einmal die ihnen vertraglich zugesagte Geschwindigkeit. Das hat eine umfangreiche Studie der Bundesnetzagentur enthüllt, die unter anderem mithilfe des Feedbacks von 250 000 Nutzern die real erreichten Geschwindigkeiten gemessen hat. Nur 36,3 Prozent der deutschen Internetnutzer schafften 2012 das von ihren Anbietern versprochene Tempo voll und ganz – bei 29,5 Prozent hingegen wurde die Übertragungsgeschwindigkeit in weniger als der Hälfte der Zeit erreicht. Einige Anschlusskategorien schwächeln noch mehr. Nur 6,9 Prozent der Kunden, denen Übertragungsraten von 8 bis 18 Megabit je Sekunde versprochen worden waren, erreichten zu hundert Prozent die Zielgröße. 35,6 Prozent wurden mit weniger als der Hälfte abgespeist.

„Dies deutet darauf hin, dass die in dieser Bandbreitenklasse vermarkteten Produkte unter einer ,bis-zu‘-Angabe Anschlüsse zusammenfassen, die sich in der realisierbaren Datenübertragungsrate stark unterscheiden, aber von den Anbietern nicht als separate Produkte angeboten werden“, heißt es in der Studie. Im Klartext: Einige Kunden werden abgezockt. In Gebieten, in denen technisch von vorne herein nur ein begrenztes Tempo zu erreichen ist, werden ungeniert Anschlüsse verkauft, die eine höhere Geschwindigkeit suggerieren. Der Hinweis „bis zu“ bei den Geschwindigkeitsangaben im Vertrag gibt den Anbietern die nötige Deckung.

Der Datenhunger wird gleichzeitig immer größer. Heute werden weltweit in zwei Tagen so viele Daten durch das Internet geschleust wie vor zehn Jahren binnen zwölf Monaten. Doch bei der offerierten Bandbreite ist Deutschland bestenfalls Mittelmaß. Wenn es um die Zahl der Breitbandanschlüsse im Vergleich zur Bevölkerung geht, steht die Bundesrepublik auf den ersten Blick nicht schlecht da. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht die Deutschland unter den Industrieländern auf Platz neun. Auf den ersten drei Plätzen liegen die Schweiz, die Niederlande und Dänemark. Doch die OECD führt hier schon Anschlüsse, mit dem dürftigen Tempo von 256 Kilobit je Sekunde auf. Bei der mittleren Geschwindigkeit, also dem Tempo, bei dem die Hälfte der Breitbandanschlüsse schneller und die andere Hälfte langsamer ist, liegt Deutschland in der OECD mit 16 Megabit je Sekunde sogar hinter Griechenland mit rund 25 MBit/s. Das reicht unter 34 OECD-Staaten für Platz 21. Beim Marktanteil der zukunftsträchtigen Glasfaseranschlüsse liegt Deutschland nur auf Platz 27.

Die Telekom fordert für den Netzausbau ihren Preis

Zwar bilden auf längeren Strecken die teuren, aber leistungsstarken Glasfaserkabel auch in Deutschland das Rückgrat der Infrastruktur. Doch auf den letzten Metern zu den Kunden dominieren die weniger durchlässigen Kupferkabel, auch weil die Telefonleitungen der Deutschen Telekom weiter der entscheidende Zugang zu den Endkunden sind. 44,2 Prozent der Breitbandanschlüsse in Deutschland werden auch heute von dem Bonner Konzern betrieben. Auch viele Konkurrenten der Telekom nützen diese Infrastruktur. Daran soll sich, wenn es nach der Deutschen Telekom geht, nichts ändern. Eine neue Technologie, das so genannte Vectoring, soll auch über Kupferkabel deutlich höhere Übertragungsgeschwindigkeiten erlauben und den teuren Ausbau des Glasfasernetzes ersparen. Auf der letzten Meile zum Kunden würde der Konzern dann aber vielerorts sein Monopol über die Leitungen verteidigen. Die Wettbewerber wären, wie zu Anfang der Liberalisierung auf dem Telekommunikationsmarkt, auf die Telekom-Kapazitäten zurückgeworfen. Die Bundesnetzagentur hat dem Vorschlag zugestimmt – doch nun müssen die Regulierer für einen fairen Zugang sorgen.

Die Deutsche Telekom fordert für den Netzausbau zudem ihren Preis. Im Frühjahr hat das Unternehmen angekündigt, dass man, um die Milliardeninvestitionen der kommenden Jahre zu finanzieren, Vielnutzer stärker zur Kasse bieten wolle. Unbegrenztes Surfen im Internet müsse teurer werden. Das eigene Internet-TV-Angebot Entertain sollte aber von den geplanten Datenlimits ausgenommen werden. Dies löste einen Aufschrei aus, weil damit die neutrale Datenübermittlung im Internet bedroht ist. Zurückgenommen wurde das als „Drosselkom“ verspottete Konzept, wonach jenseits eines gebuchten Datenvolumens die Geschwindigkeit eines Anschlusses auf zwei Megabit je Sekunde reduziert werden soll, bisher aber nicht.