Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Kürzen hätte er also können. Wenn er es denn gewollt hätte. Aber Gilmour steckt in der gleichen Zwickmühle wie viele andere Musiker seines Großkalibers. Er weiß einerseits, dass die Besucher kommen, weil sie seine alten Pink-Floyd-Klassiker hören wollen. Andererseits pocht er auf seine künstlerische Integrität, er will sich nicht nur auf die selige Vergangenheit reduzieren lassen und nur eine Best-of-Show abliefern, sondern sich mit neuen Solowerken fortentwickeln und diese dem Publikum auch live vorstellen. Ein Beispiel mag den Zwiespalt illustrieren: Gilmours im vergangenen Jahr erschienenes Soloalbum brachte es – und das auch nur in seiner britischen Heimat – auf gerade eine silberne Schallplatte, von Pink Floyds Überalbum „The Dark Side of the Moon“ wurden über fünfzig Millionen Exemplare verkauft. Gilmour weiß das natürlich, er setzt folglich auf das Beste aus beiden Welten, und dann werden eben drei Stunden daraus. Aber dieser Mann darf das.

 

„Time“ heißt eines der Stücke auf dem legendären Werk „Dark Side oft he Moon“, auf dessen Cover sich ein weißer Lichtstrahl durch ein Prisma gebrochen in regenbogenfarbene Spektralfarben auffächert. „Time“ kommt als vorletztes Stück des Abends, für den sich David Gilmour viel Zeit genommen hat, farbige Laserstrahlen illuminieren nun den Platz. Ein Kreis schließt sich, ein gediegenes und vom längst stehenden Publikum begeistert gefeiertes Konzert vollendet sich.

Brillante Band, gut geölte Maschinerie

Es lebt von den brillanten Musikern, die David Gilmour um sich geschart hat, etwa dem Bassisten Guy Pratt, der schon mit Madonna, Roxy Music und Michael Jackson musiziert hat, dem Schlagzeuger Steve DiStanislao (Crosby, Stills & Nash) und dem Allman-Brother Chuck Leavell, bekannt als Keyboarder auf mehreren Welttourneen mit den Rolling Stones und Eric Clapton. Es lebt jedoch vor allem vom virtuosen Artisten Gilmour, der prägend und ausführlich die bestens geölte Maschinerie steuert, der die meiste Zeit mit den Augen stoisch sein Griffbrett fixiert, seinen ganz schlichten Fender- und Gibson-Gitarren Töne entlockt, die seit Jahrzehnten stilprägend sind und der seine Saiten (sehr schön vergrößert sichtbar auf der Videowand) teils so dehnt, dass sein Gitarrentechniker sie wahrscheinlich anschließend gleich wegschmeißen kann. Man ahnt, warum weltweit jeden Abend irgendwo auf dem Globus – allein im diesjährigen Stuttgarter Open-Air-Sommer treten zwei von ihnen auf – eine x-beliebige Pink-Floyd-Coverband auf der Bühne steht. Und man ist froh und dankbar, das Original erleben zu dürfen.