Kultur: Tim Schleider (schl)

Am Beispiel der Einführungen kann man dies gut betrachten. Die Stuttgarter Staatstheater haben die Stück- und Konzerteinführung inzwischen zur Regel gemacht. Im Opern- und im Schauspielhaus reichen die Stühle dafür häufig nicht aus, weil es so viele Besucher gibt, die bereits eine Stunde vor der Vorstellung kommen, um sich auf den Abend vorbereiten zu lassen. Ist das nun eine Bevormundung der Zuschauer durch die Theaterleitung? Oder ist es nicht auch eine Geste des Theaters, das den Zuschauer als erwünschten Gesprächspartner überhaupt erst in den Blick nimmt? Warum sollte ein solches Gespräch die Kommunikation unter den Theaterbesuchern verhindern? Warum sollte die Information, was in dem Stück des Abends geschieht und welche Fragen den Regisseur beschäftigt haben, die kritiklose Zufriedenheit der Zuschauer mit seiner auf der Bühne gegebenen Antwort präjudizieren?

 

Lebhaftigkeit in der städtischen Kultur

Nein, die „städtische Kommunikation“ über Kunst und Kultur, über Theater ist keineswegs schlechter oder ärmer geworden. Ganz im Gegenteil, der Austausch zwischen Künstlern und Publikum ist heute ungleich breiter und lebendiger als noch vor drei oder vier Jahrzehnten. Sie ist weniger kanalisiert und sie ist weniger monopolisiert. Dafür wird auch viel weniger monologisiert, weder von den Theater-, noch von den einstigen Wortführern der Interpretation. Die Distanz ist allenthalben deutlich geschrumpft, nicht nur im Fits und in der Rampe, sondern auch im Kunst- und im Landesmuseum, im Opern- und im Schauspielhaus.

Und wenn’s denn sein soll, dann darf sogar Edgar Selge mal splitterfasernackt als Dorfrichter Adam durchs Foyer hüpfen (im „Zerbrochnen Krug“ des Schauspiels geschieht dies anfangs), oder der Popmusiker Schorsch Kamerun zieht mit seinem Posaunenchor vorbei. Theater kommt heute auch in seinen Foyers der Stadt entgegen. Das garantiert noch keine Kunst. Aber wo würde es ihr per se schaden? Es ist deutlich lebhafter in unserer städtischen Kultur geworden. Nein, kein Verlust. Gewinn. Weiter so. Wenn es irgendwie geht, natürlich auch auf passenden Stühlen.