Kultur: Tim Schleider (schl)

Zudem hatte, wie später Aussteiger angaben, die RAF-Spitze ihren Unterstützern Selbstmorde angekündigt für den Fall, dass ihre Freipressung durch diverse Aktionen misslingen würde – einerseits aus Verzweiflung über ihre dann offenbar völlig aussichtslose Lage als langjährig Inhaftierte, andererseits als letztes Fanal für die Sympathisantenszene (so die Angaben beispielsweise von Brigitte Mohnhaupt und Peter-Jürgen Boock). Die Kommunikation der RAF-Führer aus dem Gefängnis heraus funktionierte tatsächlich (Graf stellt das im Film infrage) über deren Vertrauensanwälte, die von Baader und Ensslin in Briefen mehrfach als „Mittelsmänner und Gehilfen“ bezeichnet wurden. Dazu waren eigens RAF-Sympathisanten als „Kanzlei-Gehilfen“ in den Anwaltspraxen stationiert. Ein Versteck für eine Pistole in einer „Handakte“ wurde später sichergestellt.

 

Ebenfalls im Graf-„Tatort“ wurde noch eine weitere Möglichkeit erörtert: ob die Behörden womöglich von den Suizid-Absichten der RAF-Spitze wussten und sie einfach gewähren ließen, um auf diese Art die Spitzenterroristen los zu sein. Tatsächlich gibt es wohl Akten, die Abhöreinrichtungen in den Gefängniszellen dokumentieren. Geht man von einem permanenten Abhorchen des Geschehens in den Zellen durch JVA-Beamte aus, müssten diese natürlich auch in der Nacht akustisch die Aktionen registriert haben. Stefan Aust vertritt die Ansicht, dass es noch heute Tonbänder gibt – unter Verschluss.

Ob man dies oder anderes glaubt, ist aber letztlich gar nicht mehr Frage von Fakten oder Wissen, sondern mehr Teil der jeweiligen Weltanschauung. Wer glaubt, dass „der Staat“ im Terrorherbst 1977 selbst Teil irgendeiner Verschwörung war, wird immer Details finden, die ihm irgendwie ungeklärt oder geheimnisvoll erscheinen. Alle anderen dürfen sich zumindest wundern, dass auch vierzig Jahre nach den Ereignissen die Täter von einst noch immer so viele Faszination und Fabulierkunst auf sich ziehen. Ihre Opfer dagegen – und das waren nicht nur Arbeitgeberpräsidenten oder Bundesanwälte, sondern auch Polizisten, Fahrer, zufällige Passanten, nicht zuletzt lebenslang traumatisierte Entführungsopfer – haben es da deutlich schwerer.