Stuttgart verliert weiter Einwohner an die Region – nur die Jungen strömen weiter verstärkt in die Stadt. Aber dieser demografische Trend wird langfristig nicht von entscheidender Bedeutung sein.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - In den vergangenen Jahren haben Politiker und Tourismusverbände unisono behauptet, Stuttgart sei wieder attraktiv für alle Menschen: Senioren, Familien, junge Menschen – nach einer Ära der Stadtflucht ins grüne günstige Umland, das gern als Speckgürtel bezeichnet wurde, kehrten sie nun (reumütig?) nach Stuttgart zurück. Ein genauer Blick in die neueste Einwohnerstatistik lehrt: Nach guter Hegel’scher Dialektik mag das in Teilen wahr sein – in großen Teilen ist es grundfalsch.

 

Insgesamt gewinnt Stuttgart seit drei Jahren wieder Einwohner hinzu; 2012 waren es per saldo 5822 Personen. Doch für den Austausch mit der Region Stuttgart sind die Zahlen seit Jahrzehnten negativ, jährlich zogen im Schnitt 2000 Menschen mehr von Stuttgart in die Region als von der Region nach Stuttgart. Im Jahr 2012 hat sich dieser feste Trend sogar verstärkt, Stuttgart muss per saldo den Wegzug von 3400 Menschen in die Region verschmerzen. Absolut waren es 13 619 Personen. „Bei älteren Menschen oder Familien war der Saldo nie positiv“, sagt Thomas Schwarz, der Leiter des Statistischen Amtes: „Die Masse der Familien geht in die Region oder zumindest in die Außenbezirke der Stadt, weil die Wohnqualität für Kinder in Stuttgart nicht überall angemessen ist.“

Bezahlbare Wohnungen bleiben selten

Dass sich dieser Trend jetzt wieder verstärkt, liegt für Schwarz am angespannten Wohnungsmarkt in Stuttgart. Zwar hat sich die Zahl der neu fertig gestellten Wohnungen seit etwa 2006 wieder bei 1500 eingependelt, aber bezahlbare Wohnungen bleiben selten. Der Mietspiegel für Stuttgart weist beispielsweise bei Wohnungen mit durchschnittlicher Ausstattung und Lage eine Preiserhöhung von etwa zehn Prozent allein seit 2007 aus. Daneben fehlen allein rund 8000 Sozialwohnungen in der Stadt.

Dennoch ist der Trend zur „Reurbanisierung“, wie die Soziologen sagen, also zur Rückkehr in die Städte, auch in Stuttgart nicht ganz von der Hand zu weisen. Er gilt aber nur für junge Menschen. Schon seit vielen Jahren ist der Saldo in der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen für Stuttgart positiv, und diese Entwicklung hat sich zunehmend verstärkt, gerade für die Kernstadt, wie Ansgar Schmitz-Veltin vom Statistischen Amt vor Kurzem in einer ausführlichen Analyse festgestellt hat.

Früher Murrhardt, heute Musberg

Dieser bedeutsame Zuzug liege aber nur zum Teil daran, dass die jungen Leute Stuttgart wieder „hip“ fänden, wie Thomas Schwarz sagt. Der wichtigste Grund sei vielmehr, dass die Zahl der Studien- und Ausbildungsplätze in Stuttgart zuletzt enorm gestiegen sei: Allein die beiden Universitäten haben seit 2001 die Zahl der Studienplätze um fast 50 Prozent auf derzeit gut 30 000 hochgeschraubt. So sei tatsächlich festzustellen, sagt Schwarz, dass oft nun die Kinder jener Eltern, die vor 30 Jahren aufs Land gezogen sind, jetzt nach Stuttgart zurückkehrten. Thomas Schwarz’ eigener Sohn gehört übrigens dazu.

Schmitz-Veltin hat noch einen zweiten Aspekt gefunden, der die These von der attraktiven Großstadt Stuttgart stützt. In den 1980er Jahren zogen sehr viele Menschen in das weitere Umland der Region, weil dort die Grundstückspreise niedrig waren. Jetzt ist zu beobachten, dass viele Menschen, wenn sie denn die Nase voll haben von der Innenstadt, entweder „nur“ in die Außenbezirke Stuttgarts ziehen oder eben ins nähere Umland – früher Murrhardt, heute Musberg. Aus dem weiteren Umland (zehn bis 50 Kilometer Entfernung) ist der Saldo für Stuttgart sogar wieder positiv.

Wasser in der Wein

Daneben schwächt sich, trotz des Ausreißers 2012, der Trend zum „Raus aus der Stadt“ insgesamt ab: 1994 waren es beispielsweise 5000 Menschen, die per saldo mehr in die Region zogen als umgekehrt, 2010 waren es nur 1500. Ansgar Schmitz-Veltin schüttet am Ende seiner Analyse dennoch Wasser in den Wein. Selbst die Wanderungsgewinne bei jungen Erwachsenen würden nicht lange anhalten, da sie nur auf kurzfristigen demografischen Effekten beruhten. Diese Gewinne seien deshalb „nicht als genereller, langfristiger Trend zu interpretieren“, so Schmitz-Veltin.